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Einleitung
Biographie von Wim Hofman:
Wim Hofman wurde 1941 in Oostkappelle in den Niederlanden geboren
und verbrachte seine Kindheit in der im Zweiten Weltkrieg heftig
umkämpften Hafenstadt Vlissingen. Er studierte Theologie und
Philosophie bei den "Witte Paters", um Missionar zu werden und
erhielt eine umfassende Priester- und Missionarsausbildung. Er
wurde zwar später als Missionar nicht genommen, wurde jedoch
trotzdem Pfarrer und ging für ein paar Monate nach Afrika und
arbeitete später bei einer Organisation, die sich um die
Belange ausländischer Gastarbeiter in den Niederlanden
kümmerte. Heute lebt er als freischaffender Künstler und
Autor in Oostkapelle und ist zudem mit einer Vielzahl von
kulturellen und redaktionellen Arbeiten, besonders aus dem Kinder-
und Jugendliteraturbereich, beschäftigt.
Sein Werk im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur, das schon
1955 mit Straf begann und über zwanzig Bücher
umfaßt, hat in den Niederlanden bereits eine Vielzahl von
Preisen bekommen, darunter den Theo Thijssen Prize für sein
Gesamtwerk im KJL-Bereich. Die meisten seiner Bücher
illustriert er selbst und er hat auch als Illustrator und
Künstler einige Preise erhalten (Goldenen Pinzel, Silberne
Feder u. a.)
Anmerkungen zu den beiden Büchern:
Wim erschien bereits 1976 in den Niederlanden und wurde 1997
als Erstausgabe bei dem Münchner Taschenbuchverlag tabu verlag
herausgegeben. Wim und Johnny folgte zwei Jahre später
1978 in den Niederlanden und kam ebenfalls 1997 beim tabu verlag
auf deutsch heraus. Beide Bücher sind auf deutsch nach der
sogenannten neuen Rechtschreibung und in Blocksatz geschrieben.
Wim ist mit 30 Tuschezeichnungen von Wim Hofman versehen, so
daß durchschnittlich alle vier bis fünf Seiten ein Bild
kommt. Die Kapitellänge ist uneinheitlich und schwankt von bis
zu zehn Seiten ('Frosch') bis hin zu einer Seite mit einem einzigem
Satz ('Mücke'). Die Altersempfehlung vom Verlag aus stuft das
Buch "ab 8" ein, Wim und Johnny hat keinen Altershinweis.
Stilistisches
Erzähler usw:
Auch wenn der Vorname von dem Protagonisten und dem Autor identisch
ist, sind die Bücher über Wim nicht autobiographisch. Sie
spielen nicht in den Vierzigern oder den Fünfzigern, sondern
aufgrund der vorkommenden Gegenstände (wie Kondome, Fernseher,
Leuchtstoffröhren) kann man vermuten, daß sie zur Zeit
des Erscheinens in den späten Sechzigern spielen, in Wim
und Johnny sagt die Freundin des Vaters, Majan, sogar einmal,
daß sie im Zweiten Weltkrieg noch nicht geboren war.
Die Geschichten sind keine Ich-Erzählungen, sondern werden im
hier und jetzt von einem subjektiven Erzähler erzählt und
beschäftigen sich fast ausschließlich mit dem Leben und
Erleben des elfjährigen Wim. Nur ganz selten wird für
kurze Zeit mit einem anderen, auktorialem Erzähler in einer
anderen Wahrnehmung geschaut, wo selbst Wim manchmal unbestimmt als
"ein Junge" (Wim S.50) bezeichnet wird. Man bekommt in
solchen Fällen Sachen mit, die der Protagonist nicht
mitbekommt, zum Beispiel wie er nachts von einer Fliege gestochen
wird. Ansonsten ist die Wahrnehmung auf Wim zentriert und der Leser
erfährt auch dessen Innenleben und Gedanken. Daraus zieht die
Geschichte auch eine gewisse Art von Komik, wenn das, was Wim
gerade sieht oder erlebt, in dessen Gedanken sehr nüchtern,
manchmal zynisch oder traurig, kommentiert wird. Damit wird Wim als
eine sehr illusionslose Persönlichkeit dargestellt, die
eigene, von der Außenwelt unbemerkte, Konflikte und
Wünsche hat.
Die Darstellung der Ereignisse und der Gedankengänge erfolgt
auf sehr direkte Weise. Adian Chambers schreibt in dem Vorwort von
"Behind the Story" von Joke Linders und Marita de Sterck, daß
Direktheit überhaupt eine der bemerkenswertesten
niederländischen Tugenden ist, die sich in Büchern von
niederländischen Autoren findet. Diese Direktheit, wie sie
sich zum Beispiel bei der 'Quallenszene' (Wim S.12f) oder
dem 'Frosch-ins-Klo' (Wim S.83f) oder der toten Katze
(W&J S.10f) zeigt, ist nach Chambers Ansicht darauf
zurückzuführen, daß die Niederländer mit
solchen Kinderbüchern ihre Kinder sehr bewußt auf eine
brutale und grausame Realität vorbereiten und vor
Mißbrauch und Ausbeutung schützen wollen.
Inhalt und Setting
Setting und Charaktere:
Die beiden Bücher über Wim spielen in der
niederländischen Hafenstadt Vlissingen (Quelle: Thiel). Der
Protagonist, Wim, ist ein elfjähriger Junge, der im ersten
Buch mit seinem vier Jahre älteren Bruder und seinen beiden
berufstätigen Eltern in einem Einfamilienhaus wohnt.
Körperlich hat er keine bemerkenswerten Besonderheiten,
außer daß er eine Brille hat.
Die Eltern von ihm verstehen sich nicht mehr besonders gut, eine
Situation, die ihm Freiräume gibt, aber ihn auch sehr
belastet. Der Vater hat eine Freundin, Marjan, die Mutter hat
ebenfalls einen Freund. Die Eltern versuchen Wim möglichst aus
dem Konflikt zwischen ihnen herauszuhalten und vor ihm offene
Streitigkeiten zu vermeiden, was er jedoch durchschaut (Wim
S.15). Meistens versuchen seine Eltern sich aus dem Weg zu gehen,
in dem sie kaum zuhause sind, wodurch Wim meistens auf sich alleine
gestellt ist. Er nutzt diesen Freiraum und ist ebenfalls viel
unterwegs, am Strand und in der Stadt, da ihn sein älterer
Bruder oft drangsaliert, wenn er zuhause ist.
Wim hat im ersten Buch keine Freunde, aber er lernt schnell andere
Kinder kennen, ohne eine nähere Beziehung aufzubauen. Er
scheint allerdings auch keine größeren Probleme mit
dieser Tatsache zu haben, aber manchmal scheint auch durch,
daß er gerne eine freundliche Schwester oder einen
verläßlichen Freund hätte.
Inhaltsangabe:
In Wim passiert nicht viel, Wim hat Sommerferien und somit
viel freie Zeit. Er ist oft am Strand und fängt Garnelen oder
unternimmt etwas mit der selbstbewußten Liesje, die er dort
kennenlernt. Zu Hause gibt es meistens Streit zwischen den Eltern
oder mit seinem Bruder. Nicht nur Wim wird vernachlässigt, das
Essen im Kühlschrank ist verdorben oder er entdeckt
Mehlwürmer, die er in Zuchtflaschen steckt. Ansonsten
beschäftigt sich Wim häufiger mit Tieren, er fängt
einen Frosch oder sammelt Wattwümer, ohne daß man darin
einen besonderen Sinn oder eine Sorgfalt sehen könnte.
Wim stolpert meines Empfindens nach durch die Tage, er läuft
einfach einem Hund, den er auf der Straße sieht, ohne Ziel
hinterher (S.24f) oder läßt sich von Liesje mitziehen,
ohne daß Wim einmal die Initiative ergreift und sagt, was er
will.
Doch innerlich scheint Wim von der ganzen häuslichen
Situation, vor allem durch das Verhalten seiner Mutter, sehr
belastet zu sein, so daß er einfach irgendwann
beschließt, von Zuhause wegzugehen. Er sammelt noch ein paar
Gegenstände ein und dann trampt er am nächsten Morgen mit
einem Lastwagen los. Er lernt auf seiner Reise den Fahrer Simon ein
bißchen kennen und erhält Einblick in die Trucker-Szene,
deren rauher männlicher Umgangston ihm nicht besonders
gefällt. So verdrückt er sich an der ersten Rastanlage
und läßt sich einfach von seiner Nasespitze führen
("Eine Nase ist eine Art Zeigefinger am Gesicht. 'Dahin also',
sagte Wim." S.104) Auf dem Land ist auch nicht viel los und nachdem
Wim sich in einem kleinen Dorf umgeguckt hat, hat er die Idee, sich
ein eigenes Zuhause aus altem Gerümpel zu bauen. Dabei
verletzt er sich zwar leicht, aber seine Hütte schützt
ihn immerhin vor einem plötzlichen Sommergewitter. Da er nicht
kein Essen dabei hat, versucht Wim auf einem Bauernhof
Möhrrüben zu stehlen, was jedoch nicht unbemerkt
bleibt.
Er muß feststellen, daß sein Landleben auch keine
Alternative ist, da er in seiner Hütte noch nicht einmal
schlafen kann und kehrt zurück zur Zivilisation und
übernachtet, nur von dem Bauernmädchen Tootje bemerkt,
die ihm auch hilft, in der Scheune. Am nächsten Morgen ist
sein Ausreißer-Abenteuer zuende, nachdem er von Tootjes
Mutter versorgt wurde, werden seine Eltern benachrichtigt und Wim
wird von der Freundin seines Vaters abgeholt und mit dem Zug
zurückgebracht.
Form gleicht Inhalt
Auswirkungen der Scheidungssituation:
Dadurch, daß Wim Ferien hat, ist das Kind noch einsamer und
er ist erst recht nicht in einem festen Tagesablauf oder einer
stabilen Lebenswelt verankert. Der Roman Wim beschreibt,
neben vielen anderen Dingen auch, auf eine sehr subtile Weise die
sich anbahnende Scheidung der Eltern von Wim und dessen
bewußtes und unbewußtes Umgehen damit. Das tut der
Roman gerade durch die Direktheit, mit der die Geschichte
erzählt wird, aber es sind immer nur Fragmente, die von den
Ereignissen oder Gedankengängen gezeigt werden. Darin
erfährt der Leser, daß es ständig Ehekrach zwischen
Wims Eltern gibt, diesen jedoch vor ihm nicht offen austragen
wollen (S.15). Jedoch setzen sie andererseits voraus, daß der
Junge alles schon weiß, obwohl es ihm keiner so richtig
mitteilt (S.27f, S.74).
Der Streit seiner Eltern läuft wohl schon eine längere
Zeit, der Rasen wird nicht mehr gemäht, die Wäsche nicht
mehr gewaschen und in der Speisekammer verkommen die Vorräte.
Beide Eltern sind angespannt und trinken und rauchen wohl
häufig und kümmern sich nicht um den Haushalt, und
donnern sich trotzdem jeden Abend auf, wenn sie weggehen. Wim
fühlt sich in dieser Situation alleingelassen, er macht das
Beste daraus und versucht irgendwie möglichst unabhängig
zu leben, jedoch ist er trotz eines kleinen Jobs in einer
Hotelküche auch auf das Geld seiner Eltern angewiesen (S.42f).
Aber Wim leidet innerlich sehr an der Vernachlässigung durch
die Eltern, fast jeden Abend beim Zubettgehen, vor allem nach
kurzen Diskussionen mit seinen Eltern, muß er ganz
plötzlich hochkommende Tränen unterdrücken (S.44,
S.74, S.123), die er selbst einmal als "Kummertränen"
bezeichnet. Doch die Familiensituation beeinflußt Wim noch
mehr. Sein ganzes ziellosen Dahinleben zeigt, wie sehr ihm Liebe
und Anleitung fehlen.
Schreibstil von Wim Hofman:
Dem Leser wird es leichtgemacht, sich auf diese Situation
einzulassen und Wims Empfindungen nachzuvollziehen. Es wird kein
komplizierter Spannungsbogen entworfen, keine vielschichtige
Handlung, sondern eine Welt wird präsentiert. Diese Welt zeigt
keine idyllische Kindheit, die von guten Wesen bevölkert ist,
sondern eine, wo jeder für sich ist und auf die eine oder
andere Art sich mies verhält. Die Eltern, die nur an sich
denken, Wims Bruder, der ihn peinigt, aber auch Wim, der keine
moralischen Konflikte hat, andere Leute auszunutzen oder zu
schädigen, sie alle machen deutlich, daß die Kindheit
eine miese Lebensphase wie alle anderen auch ist.
Das Buch ist praktisch wie Wims Wahrnehmung geschrieben. Er bekommt
bei den Streitigkeiten immer nur einzelne Teile mit und bekommt nie
die ganze Geschichte erzählt und muß sich folglich den
Rest zusammenreimen. Genauso ergeht es dem Leser, dem oft in recht
lockerer Folge der Tagesablauf von Wim geschildert wird, ohne
daß ein zusammenhängendes, homogenes Bild entsteht.
Vielmehr sind zahlreiche Brüche und abgebrochene Assoziationen
da und es bleibt einem selbst überlassen, ob man in seiner
Phantasie sich das Davor und Danach, welches nicht im Buch steht,
imaginiert. Und gerade das wird durch den hervorragenden
Schreibstil von Hofman angeregt.
Der Jugendschriftenausschuß des BLLV betont ebenfalls diese
Fähigkeit Hofmans "die kalte Stimmung in der der Familie, die
Sprachlosigkeit" (BLLV) dem Leser zu vermitteln, so daß es
ihm möglich ist, sie "bis ins kleinste Detail
nachzuvollziehen" (BLLV). "Der Schriftsteller verwendet dazu vor
allem kurze Sätze, die Dialoge wirken gleichsam abgehackt -
die Sprachlosigkeit kommt dadurch sehr gut zur Geltung" (BLLV).
Seine Übersetzerin Hedwig von Bülow stellt 1993 im
Eselsohr fest, daß seine Sprache und sein Schreibstil sehr
bewußt ist und "jedes Wort seinen unverrückbaren Platz
und sein eigenes Gewicht im Fortlauf einer Geschichte" (Eselsohr
9/93) hat. Es geht Wim Hofman um "Ehrlichkeit, um Form und
Sprachgestaltung bei der Verarbeitung eines Themas, und vor allem
um Deutlichkeit" (Eselsohr 9/93).
In den beiden Büchern über Wim merkt man dieses Anliegen,
die Sprache einzusetzen, um die psychische Verfassung des
Protagonisten deutlich zu machen, seine Denk- und
Wahrnehmungsweisen. Die Ereignissequenzen und Gedankengänge,
die beschrieben werden, sind oft recht kurz, aber wenn der Leser
sich auf das Buch einläßt, erreicht die knappe, direkte
und deutliche Sprache, ohne viele Adjektive einzusetzen, daß
trotzdem alles klar ist und gar nicht mehr gesagt werden
müßte.
Familiensituation
Die Familienentwürfe:
In Wim geht es um die zerrütteten
Familienverhältnisse, unter denen Wim leiden muß. Vor
seiner eigenen Familie nimmt er reißaus und flüchtet.
Auf seiner kurzen Reise lernt er auch noch andere
Familienentwürfe kennen, mit denen er sich anscheinend auch
nicht anfreunden kann.
Noch bevor Wim sich auf und davon macht, kommt er mit der ersten
anderen Familie in Kontakt, mit der Familie Prinz, zu der Liesje
gehört. Sie haben ein Ferienhäuschen am Strand und kommen
von woanders her. Sie ist eine klassische Kleinfamilie aus
Vater-Mutter-Kind und man lernt sie zweimal im Buch kennen.
Jedesmal benehmen sich die Erwachsenen auf eine alltägliche
Weise etwas unfreundlich gegenüber ihrer Tochter und Wim und
schenken ihren Wünschen keine Beachtung. Sie nehmen das, was
die Kinder sagen, zwar ernst, aber nur um ihre intellektuelle
Überlegenheit zu beweisen und schränken ihre Tochter mit
undurchsichtigen Verboten ein. Ihr ist es verboten,
Kraftausdrücke zu verwenden oder länger, als ihre Eltern
es gestatten, aufzubleiben. Liesje ist dagegen etwas aufmüpfig
und äußert selbstbewußt ihre Wünsche, aber
erreicht bei den Eltern nichts. Wim beobachtet das Familienleben
etwas abseits von außen, und obwohl man keinen direkten
Kommentar von ihm dazu hört, hat man den Eindruck, als
würde er diese fremde und geschlossene Welt wenig attraktiv
finden.
Die erste Art von 'Familie', die Wim auf seinem Weg weg von seiner
eigenen Familie trifft, ist die Gemeinschaft der Lastwagenfahrer.
Der Trucker Simon nimmt ihn widerspruchslos auf und läßt
ihn mitfahren. Auch wenn der Dialog zwischen den beiden
zunächst durch Distanz geprägt ist, entwickelt sich
schnell ein persönliches Gespräch. Auch Simon ist in
einer mißliebigen Familiensituation und flüchtet immer
wieder vor dem Gerede seiner Frau zur Arbeit. Er findet seine
Geborgenheit (wenn man es so nennen will) in der Truckerszene. Aber
Wim wird nicht ablehnent behandelt, obwohl er hier als
Außenstehender behandelt wird. Der rauhe und männliche
Umgangston, der hier gepflegt wird, schafft Unbehagen bei Wim und
er möchte nicht weiter mit diesen Leuten zu tun haben. Hier
findet er auch nicht die Obhut, die er sucht und verläßt
die Truckergruppe wieder.
Auf dem Land lernt er am letzten Tag seines Ausbruchs die Familie
von Tootje auf dem Bauernhof kennen. Er begegnet dem Mädchen
Tootje und ihren drei Brüdern schon einen Tag vorher als er
versucht, Möhren vom Hof zu klauen, was jedoch eine
Auseinandersetzung mit den Jungen zur Folge hat. Das Mädchen
Tootje hingegen ist freundlich zu ihm und läßt ihn auch
auf dem Bauerhof in der Scheune schlafen und versorgt ihn mit
Essen. Ihre Mutter ist bei dem Möhrenklau streng, jedoch
nachdem sie Wim näher kennt, ist sie überaus freundlich
und hilft ihm, so daß Wim sich unsicher fühlt und
"wusste nicht, wie er sich verhalten sollte" (Wim S.129).
Das Verhältnis der Mutter zu ihrer Tochter ist anscheinend gut
und auch in anderer Hinsicht scheint diese Familie einen gesunden
Kompromiss gefunden zu haben, der den einzelnen Mitgliedern
Freiheit läßt und trotzdem ein geschlossenes System von
Zuneigung bietet.
Vermittlung und impliziter Autor:
Der Autor stellt diese Familientypen vor, jedoch ist nicht klar, ob
er eine bevorzugt und dem Leser vermittelt, daß diese oder
jene die 'beste' für Wim wäre. Während bei den
ersten beiden, Familie Prinz und die Trucker, Wims Abneigung
deutlich wird, ist es bei der Bauernfamilie nicht so einfach.
Während der Leser den Eindruck haben könnte, hier sei
das, was Wim sucht, steht der Autor ausschließlich auf der
Seite Wims und macht von sich aus keine Andeutung, welche Familie
er Wim vorschlagen würde. Da Wim anscheinend von keiner
besonders angezogen ist, beschreibt Hofman auch nur diese
Teilnahms- und Interesselosigkeit und läßt
unausgesprochen, warum Wim der letzten Familie so fremd
gegenübersteht, wo es ihm sonst so leicht viel, Freunde zu
finden. Ob es die Leblosigkeit des nahen Dorfes ist, die ihm wenig
Aufregung verspricht, oder sein angeschlagener körperlicher
und psychischer Zustand, der sein Gefühl von Heimweh
verstärkt, kann nur Spekulation sein, im Buch findet man
keinen direkten Hinweis, warum er sich so bereitwillig abholen
läßt und zurück "in den Tunnel hinein" (Wim
S.138) geht.
Schluß
Das Besondere am Autor:
Wim Hofman ist einer der erfolgreichsten und bekanntesten
Kinderbuchautoren in den Niederlanden. Seine Popularität ist
nicht nur auf seine hervorragenden Bücher
zurückzuführen, sondern auch auf Hofmans Wirken in der
niederländischen KJL-Szene insgesamt. Durch seine Arbeit in
mehreren KJL-Zeitschriften, mit anderen Autoren und Zeichnern,
erhält er Feedback über seine eigenen Arbeiten und die
anderer Autoren. Durch andere Projekte, z. B. Kindertheater, hat er
auch unmittelbaren Kontakt zu Kindern und ist auf diese Weise immer
sehr nahe an seinen Lesern und kann deren Lebenswelt sehr gut
verstehen.
Der Autor hat außerdem die Abteilung Kinder- und Jugendroman
im Letterkundig Museum in Den Haag mitaufgebaut und gehört der
Kommission für Kinderpoesie an. In seinem gesamten Engagement
sieht Hofman "eine gesellschaftliche Verantwortung - etwas für
Menschen tun, ihnen helfen nachzudenken" (Eselsohr), besonders
Kindern, "deren heutige Situation und Machtlosigkeit im Hinblick
auf ihre Selbstbestimmung hier und überall in der Welt sehr
viel Anlaß zum Nachdenken geben" (Eselsohr).
Einordnung in den Kanon; Gattung:
So läßt nicht nur das Erscheinungsjahr 1976 von
Wim diesen Roman in die sozialkritische Kinderliteratur der
späten Sechziger und Siebziger Jahre einordnen. Wim Hofman
stellt ein Kind vor, dessen Eltern den Zwängen des modernen
Lebens durch ihre Berufstätigkeit ausgeliefert sind, und die
daraus resultierenden Probleme und Konflikte für sich in die
Familie tragen und damit auch Wim belasten. Aber Hofman kritisiert
nicht die Berufstätigkeit der Mutter oder spricht sich gegen
eine Scheidung aus, er zeigt vielmehr, daß die moderne
Arbeitswelt Anforderugen an die Familie stellt, die nicht alle
aushalten können.
Der Autor stellt auch verschiedene Lebensweisen der Eltern vor,
Wims Mutter, die es auf berufliche Karriere und
Selbständigkeit abgesehen hat und einen reichen Freund hat,
dagegen wird der Vater gezeigt, der vor allem in Wim und
Johnny einen proletarischen Eindruck macht und kein Problem
damit hat (Wim übrigens auch nicht), in einer kleinen Wohnung
zu hausen. Hofmans Sympathie für diese
Unterschichten-Mentalität zeigt sich schon in der Episode mit
den Truckern, wo er auch eine kleine Arbeiterwelt vorstellt als
Gegenentwurf zur großen Geschäftwelt, in der es keinen
Zusammenhalt geben muß.
Hofman macht aus den Wim-Büchern keine psychologischen
Kinderbücher, man erfährt zwar viel über Wims
Psyche, aber man versteht nicht unbedingt alles, was in ihm
vorgeht, sondern der Leser ist vielmehr angeregt, über sein
eigenes Empfinden nachzudenken.
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