Analyse der 'Kiss'-Werbekampagne des Musiksenders VIVA.
Soziologie-Hausarbeit im Schwerpunkt Sozialisation

von B. Reifschneider / G. Uysal / und einem anonym bleiben wollenden Studenten, Wintersemester 1997/1998

Abstract:
Dieser Text ist eine Produktanalyse der Printanzeigen der sogennanten 'Kiss'-Werbekampagne des deutschen Musikfernsehsenders VIVA, mit der dieser Sender dem damals führenden Konkurrenten MTV die Zuschauer abwerben wollte.
Nach einer kurzen Einführung zur aktuellen (bis Jahreswechsel 1997/98) Situation der beiden Rivalen MTV und VIVA wird auf das Phänomen der 'Generation X' Bezeichnung eingegangen und kurz die speziellen Probleme bei der Werbung für Jugendliche erläutert. Danach folgt eine Analyse und Interpretation der VIVA Anzeige, wobei auf die Bedeutung der Schlagworte 'Nähe' und 'Liebe' in diesem Kontext eingegangen wird und die Strategie des Senders weiter verdeutlicht wird. Ein kurzes Fazit beschreibt den großen Erfolg dieser Kampagne, mit der VIVA die Marktführerschaft unter den deutschen Musiksender erlangte.
Die vier Kapitel unter "Die Printanzeigen" sind vom Autor dieser Webseite (B. Reifschneider).

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Einleitung
    -Die Marktsituation
Die Jugendgeneration
    -Generation X
    -Die Jugend als Zielgruppe
    -Darstellung von Gemeinschaft
    -Identifikationsmuster werden nicht gezeigt
    -Liebe und Sexualität
    -Plazierung der Kiss-Kampagne
Die Printanzeigen
    -Bildinhalt und Beschreibung
    -Bildinterpretation
    -Bildtext und Werbebotschaft
    -Weitere Beobachtungen und Ergebnis
Fazit
Literaturliste
Wichtige Bemerkungen!
Einleitung

Die Marktsituation:
In einer im Jahre 1995 durchgeführten Repräsentativbefragung von 6,6 Millionen 14- bis 29-jährigen, die in einem sogenannten Telekom-Kabelhaushalt leben, wurde für VIVA eine faktische Tagesreichweite von 16,2% (alte Bundesländer) und 15,6% (neue Bundesländer), für MTV Europe von 8,7% (alte Bundesländer) und 10,7% (neue Bundesländer) festgestellt, was heißt, daß VIVA pro Tag 943.000, MTV 504.000 Zuschauer erreichte. Die bevorzugte Altersgruppe stellen die 14- bis 29-jährigen dar, mit einem deutlichen Schwerpunkt bei den 14- bis 19-jährigen. Im Vergleich der beliebtesten Fernsehprogramme wird von den Jugendlichen (14- bis 19-jährige) zu 15% VIVA und 10% MTV genannt, was den Rängen 3 und 4 hinter RTL (30%) und Pro7 (25%) entspricht. Bei den jungen Erwachsenen (20-29 Jahre) geben nur 4% VIVA und nur 3% MTV als ihren Lieblingssender an (Rang 6 und 7 hinter RTL 27%, Pro7 26%, ARD 12%, Sat1 9%, ZDF 5%) [Schmidbauer/Löhr: S.10]

Die Zahlen belegen, daß VIVA im Kampf mit dem Konkurrenten MTV Europe seit 1995 vorne liegt. Als Gründe können angesehen werden:

regionalspezifische Qualitäten von VIVA, wie deutsche Moderatoren

Berücksichtigung deutscher Pop- und Rockmusik

die verstärkte Einbeziehung des Publikums durch Call-In-Sendungen wie "Interaktiv" oder "VIVA liebt Dich"

Die vorliegende Anzeigenkampagne verweist nun eindeutig auf diese quantitative und qualitative Nähe zum deutschen Publikum, indem sie die Aspekte 'Nähe' und 'Liebe' in den Mittelpunkt stellt. Mit 'Nähe' wird die nach Quote fundierte tatsächliche Nähe zu der Zielgruppe der 14- bis 19-jährigen dokumentiert und 'Liebe' deutet darauf hin, daß VIVA mehr sein will bloß ein 'elektronischer Kumpel' oder zumindest ein besser 'elektronischer Kumpel' als MTV es ist, in dem VIVA auf die Bedürfnisse und Wünsche des deutschen Publikums verstärkt eingeht, durch die oben erwähnte regionalspezifische Qualität, insbesondere durch Sendungen wie "Interaktiv", in der sich Jugendliche jeglicher Art Rat beim Moderator einholen können, wobei das Hauptthema 'Liebe' ist.
Dies ist eine Sendeform, die es bei MTV (noch) nicht gibt. So kann die VIVA-Kampagne auch als Antwort zur MTV-Kampagne ('Willkommen zu Hause', 1994) verstanden werden. Während auf den MTV Plakaten nur scheinbar individuelle, 'echte' Fotos Jugendlicher 'von neben an' zu sehen sind, wirken die Motive von VIVA durch die ungeschminkte Nahaufnahme tatsächlich realistischer und authentischer, womit die von VIVA gewählte Überschrift zu den Fotoserie "VIVA kommt jetzt noch näher" Gültigkeit erhält und um "...näher als MTV" ergänzt werden könnte.
Im nachfolgenden Text möchten wir zuerst den Hintergrund der Kampagne, nämlich die werbestrategische Auseinandersetzung mit der Zielgruppe beleuchten und im Anschluß auf die konkrete Beschreibung der 'Kiss'-Kampagne eingehen.


Die Jugendgeneration

Wie im einführenden Teil schon beschrieben sind die 14- bis 29-jährigen 'Jugendlichen' die Zielgruppe für den Musikfernsehsender VIVA. Diese Zielgruppe soll auch durch die 'Kiss'-Anzeigenkampagne angesprochen werden. In diesem Zusammenhang wird sowohl von wissenschaftlicher, als auch von wirtschaftlicher Seite der Begriff der 'Generation X' verwendet. Doch was ist diese 'Generation X' überhaupt?

'Generation X':
Wenn das Thema der jugendlichen Generationen, Jugendkulturen oder jugendlichen Subkulturen behandelt wird, ist man gleichzeitig immer bestrebt den 'Jugendlichen' einen Begriff wie einen Stempel aufzudrücken. In der Vergangenheit waren dies die 'Halbstarken', die '68er', die 'No Future Generation' oder die 'Yuppies' (um nur einen Bruchteil zu nennen). Und Anfang der 90er war es dann wieder so weit, ein neues Label zu finden und medial auszuschlachten. Nach dem Roman von Douglas Coupland wurde die Jugendgeneration der 90er 'Generation X' getauft. Doch was macht diese Generation aus? Der Begriff der 'Generation X' ist zu einem Deutungsmaßstab geworden, welcher diverse jugendkulturelle Praktiken als lethargischen Rückzug ins Private, als Karikatur und Zynismus gegenüber der Konsumgesellschaft interpretiert. Die Jugendgeneration soll unfähig sein, sich unvoreingenommen mit aktuellen Entwicklungen auseinanderzusetzen. So erklärt sich auch das "X", ein mathematisches Zeichen für eine Unbekannte, welches auf die Jugendlichen projiziert wurde.
Douglas Coupland war eigentlich beauftragt worden, eine Studie über die aktuelle Jugend zu schreiben, entschied sich dann aber für die Romanform. "Generation X" handelt von drei jungen Leuten, die den Glauben an Glück und Wohlstand verloren und sich an den Rand der Wüste zurückgezogen haben, um einander Geschichten zu erzählen. Geschichten, die angeblich eindringlich die Gefühlslage ihrer Generation wiedergeben.
"Generation X" erschien 1992 in deutscher Sprache. Nicht nur die Story selbst, sondern auch die griffigen Wortneuschöpfungen für aktuelle Symptome (z.B. "MCJOB = Ein niedrig dotierter Job mit wenig Prestige, wenig Würde, wenig Nutzen und ohne Zukunft im Dienstleistungsbereich. Oftmal als befriedigende Karriere bezeichnet von Leuten, die niemals eine gemacht haben." [Coupland: S.14]) sorgten dafür, daß Coupland oft und gern zitiert wurde und wird und sich 'Generation X' als Etikett durchsetzte. Endlich hatte man den heißgesuchten Epochenbegriff gefunden.
Schon bald wurde die Konzeption aber von Kritikern angegriffen, welche die Desillusionierung der jungen Erwachsenen für überzeichnet hielten. Man sah zudem eine neue Generation der 13- bis 19jährigen heranreifen, die wieder aktiver und kämpferischer schien als die anscheinend schlaffen Twens. Daß diese neuen Kids vom "New York Magazin" allerdings sofort als 'Generation Y' bezeichnet wurden, unterstreicht die Popularität des Konzepts von Coupland.
Hinterfragt man nun die Thesen zur 'Generation X', so fällt einen z.B. die Normalität der Antworten der jungen Erwachsenen auf. Jugend wollte sich schon immer von der Erwachsenenwelt abgrenzen. Warum sollte ausgerechnet die Jugendgeneration der 90er anders sein. Natürlich sind Ausdrucksformen und Darstellungsweisen dieser Jugend andere, aber sie unterscheiden sich vor allem von den Lebenswelten ihrer Eltern.
So kommen Michael Barth und Klaus Neumann-Braun in ihrem Aufsatz "Augenmusik. Musikprogramme im deutschen Fernsehen am Beispiel von MTV" bei der Betrachtung der 'Generation X' zu dem Schluß: "Bei dem was man findet, handelt es sich allenfalls um ein Phantom!" Und genau dieser Begriff trifft das Label 'Generation X' am Besten, denn ein Phantom hat "sicherlich spezifische Eigenschaften, nur kennt man sie eben nicht". Denn viele sogenannte Trendforscher und Populärsoziologen, die das Thema 'Generation X' ausschlachten, mangelt es offensichtlich an Wissen oder Nähe zur Jugend, sonst würde man einen wesentlichen Teil der Gesellschaft nicht mit ein paar kurzen Thesen oder mit der immer wieder zu lesenden Phrase "ein Haufen eigensinniger, bunter Ameisen" abtun.

Die Jugend als Zielgruppe - Ein stark segmentierter Markt mit enormer Kaufkraft:
Wenn 'Generation X' nur einen gescheiterten Versuch, eine Jugend global zu beschreiben, darstellt, bleibt die Frage offen, ob das generell überhaupt möglich ist. Eine mögliche Antwort auf diese Frage gibt z.B. Klaus Farin, für den es so etwas wie 'die Jugend' gar nicht gibt. Denn 'die Jugend' besteht aus einer fast nicht mehr überschaubaren Zahl von Cliquen, Gangs, Crews, Szenen, Kulturen und Subkulturen. In seinem Aufsatz "Mutter Coca Cola statt Vater Marx" beschreibt Farin, auf was man unmittelbar stößt, wenn man sich mit der Analyse einer Werbeanzeige für das 'VIVA-Zielpublikum' beschäftigt: "Die Werbebranche, deren junge PR-Agenturen und Trendscouts in vielen Segmenten aktueller Jugendforschung besser informiert sind als die universitäre Soziologen- und Pädagogenkonkurrenz, hat inzwischen über vierhundert verschiedene "Jugendkulturen" aufgespürt (und nicht wenige davon, siehe Streetball, auch erschaffen). Alle Versuche, 'die Jugend' auf einen Nenner zu bringen, sind a priori zum Scheitern verurteilt."
Dennoch versucht der Musiksender VIVA, in diesen anscheinend stark segmentierten Markt, mit seiner Anzeige möglichst viele Jugendliche zu erreichen. Denn VIVA ist ein kommerzieller Fernsehsender, der nur dann 'überleben' kann wenn
a) die Plattenfirmen (und gleichzeitig die Teilhaber an VIVA Warner, Polygram, Sony und EMI) durch den Sender mehr Platten verkaufen und
b) von der Industrie bzw. deren Werbeagenturen Werbezeiten auf VIVA gebucht werden.
Die Plattenfirmen und die Werbetreibenden, welche auf VIVA Werbezeiten buchen, verbindet ein gemeinsames Ziel, sie möchten der jugendlichen Zielgruppe möglichst viel Geld abgewinnen. Die hohe Kaufkraft, welche hinter den Jugendlichen steht, verdeutlicht eine Untersuchung des Münchner Instituts für Jugendforschung (IJF), wonach die 15 Millionen fünf- bis zwanzigjährigen in der Bundesrepublik Deutschland über eine Kaufkraft von jährlich rund 30 Milliarden Mark verfügen. Rechnet man die Sparguthaben hinzu, kommt eine Summe von rund 35 Millionen zusammen. Und damit nicht genug, so geht man davon aus, daß Kinder und Jugendliche noch einmal das doppelte ihrer Kaufkraft im Familienhaushalt beeinflussen. Dies verdeutlicht den Stellenwert der jugendlichen Zielgruppe und bildet natürlich auch den Hintergrund für die 'Kiss'-Werbekampagne von VIVA.

Darstellung von Gemeinschaft:
VIVA versteht es, mit seiner Anzeige zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Durch die bewußte Authentizität der Anzeige, welche z.B. durch die scheinbar ungeschminkten Gesichter, abgebrochenen Fingernägel usw. dargestellt wird, wird eine Art von Gemeinschaft hergestellt. Denn diese abgebildeten Jugendlichen sind genau so häßlich oder schön wie die, welche die Anzeigen ansehen und letztendlich die VIVA-Seher sind. VIVA demonstriert so also scheinbare 'Nähe' zur jugendlichen Zielgruppe.
Ein anderer Gesichtspunkt bei diesem Gedanken ist, daß VIVA versucht, mit seiner 'Kiss'-Kampagne und dem Werbeslogan "...lieben VIVA" sich den Jugendlichen als eine Art 'elektronischen Kumpel' zu verkaufen. Sie möchten eine Alternative zu dem sein, was Jugendliche normalerweise im Fernsehen zu sehen bekommen. Brent Hansen, Präsident des VIVA Konkurrenten MTV Europe bringt es mit der Aussage: "Unsere Philosophie ist es, eine Art Freund zu sein. Ein Freund, den man besuchen kann, wann immer man Lust dazu verspürt" [Kemper: S.9] auf den Punkt. Der Sender möchte den Jugendlichen zu verstehen geben, daß VIVA 24 Stunden, Tag und Nacht, ohne Pause einen Freund darstellt, den man via Fernbedienung zu sich holen kann. Doch nicht nur Freund will man sein, sondern noch viel mehr, nämlich eine große Gemeinschaft Gleichgesinnter. Man möchte ein gruppenkonstituierendes 'Wir-Gefühl' schaffen.
Hierzu trägt vor allem die kommunikative Kraft der Musik bei. Denn längst ist diese nicht mehr nur Musik, sondern auch Ausdruck besonderer Lebensstile, Mode, Kleidung und Sprache. So gehören zu einem Hip-Hop-Video nicht nur die Musik, sondern auch ein bestimmtes Outfit (Kleider, Schmuck, Frisur usw.) mit den Tragen bestimmter Marken und sogar Gestiken, die von den Jugendlichen imitiert werden. Musikfernsehen spielt also nicht nur Musik, es transportiert auch jugendliche Symbolik und Identifikationsmuster.
Ebenso steht Musik für Spaß, Sorglosigkeit, Ausgelassenheit, Rebellion, Spontanität, Modernität, Sinnlichkeit, Unkalkulierbarkeit und Respektlosigkeit. Dies sind Werte, mit denen sich Jugendliche identifizieren können.

Identifikationsmuster werden nicht gezeigt:
Ebenfalls ist hinsichtlich der Abzielung auf die Jugendlichen und die starke Segmentierung der Jugendlichen in diverse Cliquen, Gangs, Szenen etc. auf einen anderen Aspekt der Anzeige hinzuweisen. Die Anzeige zeigt dem Betrachter lediglich zwei Gesichter (wenn überhaupt), keine Jacken, Pullover, Hosen, Schmuckstücke, die auf die Mitgliedschaft in einer Szene schließen lassen könnten. Es werden also bewußt, so meinen wir, lediglich Gesichter gezeigt, um alle Jugendlichen anzusprechen.

Liebe und Sexualität:
Natürlich thematisiert die 'Kiss'-Anzeigekampagne auch die jugendliche Liebe und Sexualität. Nun ist dies ein Thema, mit dem sich fast jeder Jugendliche beschäftigt. Dies wird auch auf der wissenschaftlichen Ebene, der Entwicklungspsychologie, durch ein von Havighurst erdachtes Modell "Entwicklungsaufgaben" [Oerter/Montada: S.124] bestätigt. Hier werden der Entwicklungsperiode Adoleszenz (13 bis 17 Jahre) u.a. die Entwicklungsaufgaben körperliche Reifung und heterosexuellen Beziehungen zugeschrieben und der Jugend (18 bis 22 Jahre) u.a. die der Identität der Geschlechterrolle. Jeder Jugendliche befaßt sich demzufolge entwicklungsbedingt mit diesen Themen. Dies beweist auch ein Blick in diverse Jugendzeitschriften, in denen, wie z.B. der BRAVO, stets eine Rubrik mit dem Themenkomplex der Liebe und Sexualität beschäftigen. Zentrale Fragen sind hier schon seit Jahren Partnerschaft, das Kennenlernen der Sexualität, das Auseinandersetzen mit dem eigenen Körper, Entdeckung neuer Gefühle, Identitätsfindung etc.
Das küssende Paar der Kampagne steht für solche Problematiken der Jugendlichen, weckt möglicherweise deren Neugierde und möchte ihnen gleichzeitig mitteilen, daß VIVA eine Diskussionsfläche, ein Forum, für das Reden über das neu zu entdeckende Gefühl, oder auch eine Plattform bietet, über die man sich völlig unerfahren dem anderen Geschlecht nähern kann (man denke hierbei an die diversen Call-In-Shows).

Plazierung der 'Kiss'-Kampagne:
Die Jugendlichen sind mit den üblichen Marketinginstrumenten nur schwer zu erfassen. Sie sehen andere Sendungen, lesen andere Zeitschriften, hören andere Radiosender, reagieren anders auf Werbung wie Erwachsene und gehen anders mit Medien um. Demzufolge ist neben dem Design die Plazierung der Werbekampagne ein wichtiges Element, um die Jugendlichen überhaupt zu erreichen.
Nach Senderinformationen wurde die Kampagne in Jugend- und Szenezeitschriften wie Hit!, Mädchen, Popcorn, Pop Rocky, Frontpage (inzwischen eingestellt), jetzt (Montagsbeilage für Jugendliche in der Süddeutschen Zeitung), Cinema, Max, Snowborder, Skatboard, Surfers lanciert. Neben diesen vom Sender genannten Zeitschriften findet man die Anzeige in kostenlosen Magazinen wie WOM-Journal, Piranha, Jam usw. Solche kostenlosen Zeitschriften liegen oft in Schallplattenläden, Club oder Kinos aus und werden von den Jugendlichen gerne mitgenommen. Zum erwähnten Magazin Jam gibt es im übrigen eine direkte Verbindung zu VIVA, denn der Jam-Herausgeber Jeanshersteller Mustang und VIVA präsentieren die gleichnamige Sendung auf dem deutschen Musikkanal.
In Sachen Plazierung kann man Parallelen zur MTV-Werbekampagne 'Willkommen Zuhause' (Herbst 1994) ziehen. Hier wurde die Anzeige u.a. auch in Kinozeitschriften plaziert, die an öffentlichen Plätzen ausliegen und kostenlos von Passanten mitgenommen werden können.

Die Printanzeigen

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Bildinhalt und Beschreibung:
Auf den Anzeigen von VIVA sieht man jeweils ein Foto von einem jungen Paar, das sich gerade innigst küßt. Das Foto wird durch einen farbigen Rand oben und an einer Seite eingerahmt, wobei der seitliche Rahmen doppelt so breit ist wie der obere. Die nicht eingerahmten Teile des Fotos berühren den Seitenrand, während bei den eingerahmten Teilen eine weiße Fläche bis zum Seitenrand bleibt. Die weiße Fläche vom Rand des Rahmens zum parallelen Seitenrand ist oben etwa vier mal so breit wie an der Seite des Bildes. Das Foto liegt mit seinem farbigen Rahmen damit nicht zentriert auf der Doppelseite, außerdem ist es leicht gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Von den vier Anzeigenmotiven berühren zwei Fotos den linken, zwei den rechten Rand. Die einzige Ecke, die der Rahmen hat, ist auf der Innenseite abgerundet, außen ist sie rechtwinklig. Über dieser Ecke steht in der weißen Fläche der Text "Dani und Sascha lieben VIVA", bzw. "Vera und Martin...", "Gordana und Yacob..." und "Anna und Markus...". Die Textfarbe und die Rahmenfarbe sind rot/lila, grün-blau/pink, dunkellila/hellgelb oder magenta/hellblau.
Bei allen Anzeigen findet sich an der selben Stelle das zweifarbige Logo "VIVA" in seiner typischen Schreibweise rechts unten, so daß es noch auf dem Foto steht und ungefähr 5 Zentimeter Platz bis zum rechten Seitenrand läßt. Etwa ein Viertel des Logo ist von dem unterem Seitenrand abgeschnitten.
Eine einheitliche Beschreibung der Fotos ist etwas problematisch, da sich in Details der Bildgestaltung die Fotos voneinander immer wieder unterscheiden, eine Tatsache, die den besonderen Charakter des Bildes ausmacht. Jedoch sind zwei Merkmale auffällig, die bei jedem Bild sofort ins Auge stechen. Zum einem ist es die Tatsache, daß die beiden Akteure ungeschminkt fotografiert sind, zum anderem ist die extreme Nähe der Kamera zu ihrem Motiv ungewöhnlich.
Zu sehen sind ein Junge und ein Mädchen, ungefähr 14 bis 22 Jahre alt, die in einem heftigem Zungenkuß versunken sind. Die Haut wirkt fettig und unrein, was dadurch hervorgerufen wird, daß die Personen nicht abgepudert sind, so daß ihre Haut unter der Beleuchtung glänzt. Die Ausleuchtung ist zwar hell, aber nicht zu stark und nicht vollständig, es bleiben Stellen, an denen es Schatten gibt oder die dunkler sind. Fast die gesamte Fläche wird von den Gesichtern eingenommen, kleine Stellen zeigen einen schwarzen Hintergrund. Dunklere Stellen, Haare, Augenlider, Schatten, und große rötliche Flächen bestimmen das Bild, welches uneinheitlich bleibt und bei jedem der vier Motive eine andere Bildkomposition hat.
Der Bildausschnitt ist so gewählt, daß man die Gesichter in Großaufnahme von der Seite sieht. Man sieht die Gesichter vom Haaransatz des einen bis zum Wangenknochen oder Haaransatz des anderen, obwohl es tatsächlich nicht so genau festzumachen ist (z. B. kann man in zwei Fällen ein Ohr sehen). Meistens schließt der Rand kurz unter der Unterlippe ab, die obere Begrenzung begrenzt nach oben dicht über den Augenlidern oder den Augenbrauen. In allen vier Anzeigen sind Teile der Hand oder zumindest ein Finger am Gesicht zu sehen, als ob der Kopf von dem anderem Partner mit den Händen festgehalten wird. Die Augen sind fast immer geschlossen, zwei Jungen haben ihre Lider leicht geöffnet. In drei Bildern kann man in den Mund von einem der Personen sehen und sieht zweimal die feucht rote Zunge und einmal weiße Zähne.
Die vier Paare sind ausschließlich gemischtgeschlechtlich, bis auf einen Jungen sind es hellhäutige Jugendliche. Aufgrund seiner dunkleren Haarfarbe und wüllstigeren Lippen scheint dieser Junge aus einem südlichen Kulturkreis zu stammen. Die Haarfarben der Personen, soweit man sie identifizieren kann, sind vielfältig, mit schwarz über braun, blond, naturrot und rot-getönt sind die häufigsten Haarfarben vertreten. Frauen wie Männer haben bis auf eine Ausnahme kein Make-up, statt dessen erkennt man Hautunreinheiten, Sommersprossen, Bartstoppeln, eingerissene Fingernägel und ähnliches bei einzelnen Jugendlichen. Allerdings sieht man an den Abgebildeten keine besonderen Merkmale wie auffällige Narben, Leberflecke oder andere Makel.
Wie die individuellen Darsteller von Foto zu Foto verschieden ist, ist die Bildkomposition auf den ersten Blick uneinheitlich. Die Anordnung der beiden Kußpartner, ihre Gesichtsrichtungen und welcher von beiden näher zur Kamera ist, folgt keinem Muster. Mal nimmt das Mädchen rechts vorne den meisten Raum ein, mal der Junge links hinten, in keinem Fall haben die beiden die gleiche Raumaufteilung in einem Bild. Die einzige Gemeinsamkeit, die auf allen Fotos zu finden ist, sind diagonale Bildlinien. Die verschiedenen Gesichtselemente und Schattenzonen ergeben pro Foto sieben und mehr Diagonalen, die von Bild zu Bild unterschiedlich angeordnet und ausgerichtet sind.

Bildinterpretation:
Ohne den Text zunächst wahrzunehmen, blättert der Rezipient auf die zumeist DIN A3 große Doppelseite, auf der sich ein Motiv der VIVA-Kampagne befindet. Der erste, sicherlich gewollte Eindruck ist ein Art von Schock, der auf diese unverhohlene Darstellung von Körperlichkeit und Leidenschaft antwortet. Der Betrachter ist Zeuge eines sehr intimen Akts, den die beiden jungen Menschen vollführen. Diese sind völlig versunken in ihre 'Tätigkeit', dies zeigen die geschlossenen Augen, die Hände im Bild und das vollständig aufeinander orientiert sein. Kein Raum ist zwischen ihren Gesichtern, sie überschneiden sich sogar.
Durch die Überdimensionalität und die nicht-weitwinklige Linse wirkt die Fotographie sehr flach und eindimensional. Dieser Verfremdungseffekt verstärkt den Ausdruck von Nähe, den VIVA mit dieser Kampagne sich zu eigen machen will. Die Kampagne "zeigt eindringlich, wie wichtig Nähe ist - in jeder Hinsicht" bemerkt VIVA zu den Motiven. Der Bildausschnitt ist ebenfalls so ungewöhnlich groß gewählt, daß jede Distanz zwischen dem Foto und dem Betrachter verloren zu gehen scheint. Der Betrachter soll den Eindruck haben, ganz nah am Gezeigten zu sein. Er sieht zwei Menschen, die sich sehr zu lieben scheinen, da sie große Zuneigung füreinander zeigen, in dem sie sich so offen küssen. Auch 'Liebe' ist ein Aspekt, den VIVA betonen will. Liebe ist das zweite Schlagwort, unter dem VIVA seine Kampagne laufen läßt, neben 'Nähe'. Und diese 'Liebe', ob gespielt oder real, besteht zwischen den beiden Personen auf dem Foto. Das Pärchen soll die Begriffe 'Liebe' und 'Nähe' visualisieren. Aber das wird der Rezipient beim ersten Betrachten nicht sofort lesen, sondern er wird durch die Doppelseite Anzeige irritiert werden.
Doch nicht nur des Inhalts wegen löst die Anzeige dieses Gefühl aus, auch die anderen Bildelemente und Kompositionsmittel helfen mit, dieses Festhängen des Betrachters zu bewirken. Die leichte Schrägstellung, in der sich das Foto mit seinem Rahmen befindet, ist so gering, daß sie zunächst nicht bewußt bemerkt wird. Statt dessen zielt die Verschiebung des Bildes und dessen zweiseitige Rahmung wohl darauf ab, Spannung auf der Doppelseite zu erzeugen. Die unsichtbaren diagonalen Bildlinien rufen ebenfalls Dynamik hervor, die darauf angelegt ist, den Zeitschriftenleser für einen Moment sich mit der Anzeige zu beschäftigen. Ferner sind die Rahmen- und Textfarben auf Jugendlichkeit ausgerichtet, die unsymmetrische Anordnung der Anzeigenkomponenten und der offene Rahmen sind unkonventionell und heben hervor, daß Teenager die Adressaten sind.
Es läßt sich sagen, daß die äußere Form und die Anordnung der Anzeigenelemente insgesamt darauf abzielen, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu fesseln, der Inhalt in Form des Foto macht dies ebenfalls deutlich und zeigt den Bildtext, der VIVA wichtig sind. Vogt schreibt bei seiner "kultursoziologisch-semiotischen Studie zu Text-Bild-Montagen": "Ein Porträtfoto, das nicht auf Identifizierbarkeit zielt, verändert seinen Zeichencharakter" [Hartmann/Haubl: S.167]. Zwar haben wir es bei der VIVA-Anzeige nicht unbedingt mit einem Porträtfoto zu tun, doch wie das Porträtfoto das "Zeichen einer Beziehung zwischen zwei Personen" (ebenda) ist, ist dies auch das Foto bei der VIVA-Anzeige. Dadurch, das aber keine Identifizierbarkeit mehr besteht, wirft es die Frage auf, "warum ist das Gesicht hier abgebildet, welche Botschaft enthält es?" (ebenda)

Bildtext und Werbebotschaft:
Die Anzeige enthält den Text "Dani und Sascha lieben VIVA" (bzw. andere Eigennamen). Dadurch, daß dies die Bildüberschrift ist, suggeriert der Satz zunächst, daß es sich bei den abgebildeten Personen um Dani und Sascha handelt. Das Produkt, für das geworben wird, wird genannt, und zwar nicht als Subjekt, das sich präsentiert, sondern als Objekt am Ende des Satzes. Handelnde sind die beiden jungen Erwachsenen auf dem Foto, die augenscheinlich sich gegenseitig lieben, das macht der Text mit der Wortwahl von "lieben" endgültig klar, doch damit wird das Foto nicht entschlüsselt. Das Produkt wird nicht gezeigt, es befindet sich nicht im Bild, außer dem kleinen Logo, es wird zudem vorausgesetzt, zu wissen, was "VIVA" ist. Was man mit einem Videoclipkanal eher verbindet, einen Fernseher oder Musiker, Moderatoren oder Kameras, ist nicht sichtbar, stattdessen aber zwei Personen, die sicherlich anderes im Kopf haben als VIVA-Schauen.
Der Betrachter muß also einen Moment nachdenken, wenn er die Anzeigenaussage erschließen will. Die Bildüberschrift "Dani und Sascha lieben VIVA" lehnt sich an eine bekannte Sendung des Senders an, "VIVA liebt Dich". Diese Sendung ist ein Aushängeschild des Senders, sie ist ein Merkmal, mit dem sich VIVA deutlich von dem Programm von MTV abgrenzt. Die Anzeige verweist demnach auf eine spezifische Sendung des Musiksenders. Aber dadurch, daß diese Sendung nicht ausdrücklich genannt wird, es werden zum Beispiel keine Uhrzeiten genannt, zu denen sie ausgestrahlt wird oder was ihr Inhalt ist, wird viel mehr Vorwissen als selbstverständlich vorausgesetzt. Und so verweist die Anzeige nicht nur auf eine besondere Sendung im Fernsehen, sondern dadurch, daß sie dieses Vorwissen aufruft, verweist sie auf den Kanal, der diese Sendung anbietet, selbst. Gleichzeitig, weil VIVA mit dieser Sendung für sich wirbt, werden die Vorzüge des Senders ins Gedächtnis gerufen. VIVA ist der Musiksender, der sich mit deutschsprachigem jugendorientiertem Programm um die Bedürfnisse seines Publikums kümmert, im Gegensatz zum fremdsprachigen MTV.
Für den Anzeigenleser, der nicht dieses Vorwissen hat, wird mit dem Foto versucht, Assoziationen zu wecken. Ein Fernsehsender, der mit riesigen Nahaufnahmen für sich wirbt, zeigt damit 'Nähe', VIVA hat also die Auffassung, "näher dran zu sein", wie eine andere häufige Werbeaussage von Massenmedien lautet. VIVA will nah an seiner Zielgruppe sein und dieses Verlangen visualisiert sich in der Anzeige mit dem unten abgeschnittenen VIVA-Logo. Um es vollständig zu sehen, müßte sich die Kamera weiter von ihrem Motiv entfernen, doch das ist nicht erwünscht, man will lieber zeigen, daß sich VIVA in äußerster Nähe zu seinen Zuschauern befindet.
Die Bildüberschrift sagt nicht nur, daß die zwei Personen VIVA kennen, sie lieben den Sender sogar. Was kann ein Fernsehsender bieten, daß sein jugendliches Publikum ihn liebt? VIVAs Programm bietet Möglichkeiten für den Zuschauer, seine Liebe zu finden in Form von Partnervermittlung, oder ist ein fürsorglicher Freund, den man um Rat und Hilfe befragen kann. VIVA ist, das zeigt die Anzeige, ganz nah an der Lebenswelt der Teenager und beschränkt sich nicht auf Passivität, sondern die Anfragen seiner Zuschauer, die Kommunikation mit dem Publikum, stellt einen wichtigen Bestandteil des Programms von VIVA dar. Und dafür wird VIVA geliebt von denjenigen, die es schauen.
VIVA stellt sich damit gegen das weitverbreitete Vorurteil, daß Fernseh-Schauen zur Vereinsammung führt. Bei diesem Sender ist eher das Gegenteil der Fall, verkündet die Anzeige. So können sich Dani und Sascha über VIVA kennengelernt haben oder Beziehungsprobleme geklärt haben. Das Foto, das keine perfekt geschminkten Models zeigt, sondern unvorbereitete (für das Werbefoto) Teenager, erleichtert es, daß der Betrachter sich mit den Personen identifizieren kann und in ihnen ein Vorbild sieht, welches er durch VIVA-Konsum erreichen kann.

Weitere Beobachtungen und Ergebnis:
VIVA sieht die Anzeigen in einer Tradition mit der klassischen Kunst. Mit diesen "Motiven interpretiert die Kampagne ein uraltes Motiv der Kunstgeschichte auf erregende Weise neu" (VIVA Eigenwerbung), gibt die Pressemappe des Senders bekannt. Damit schließt sich diese Kampagne einer jüngeren Bewegung in der Werbebranche an, die Zänker in seinem Aufsatz "Amor & Psyche. Werbung, Mythos und Kunst" aufzeigt: "Erst jüngst wurde von Werbefachleuten, insbesondere von Werbefotografen, eine 'neue Bildsprache' in der Werbung gefordert". Gemeint ist damit, den Werbefotos mehr künstlerischen Gehalt zuzusprechen und diese bewußt in den Kontext mit der Kunstgeschichte zu setzen. "Nach der bildjournalistischen Werbung der siebziger Jahre ist nun Foto-Kunst angesagt." Zwar trachtet "sich die Werbung durch 'künstlerische' Qualitäten oder schlicht als 'Kunst' zu nobilitieren", "sie bleibt aber letztlich, auch gegen andersgeartete Intentionen der Werber und Designer, nämlich als Werbung 'per definitionem', von ihr ausgeschlossen" [Hartmann/Haubl: S.136ff], lautet das Resultat von Zänker.
Die VIVA-Anzeigen sollen demnach 'Kunst' sein. Mit diesem Anspruch möchte VIVA mehr Akzeptanz bei den Jugendlichen finden, die marktschreierische Phrasen satt haben und offensichtlicher 'Werbung' mißtrauisch gegenüber stehen. Ein weiterer Versuch, der jugendlichen Zielgruppe näher zu kommen, ist die Art und Weise, wie die Paare auf den Fotos ausgewählt wurden. Monate vor dem Beginn der Kampagne schaltete VIVA Anzeigen in größeren Szene-Zeitschriften und Stadtmagazinen, in denen in einer Art Preisausschreiben nach real existierenden Paaren gesucht wurde, und deren Gewinner auf den Fotos der VIVA-Anzeigen abgebildet würden. Diese Vermischung von Preisausschreiben, welches immer eine einkalkulierte PR-Wirkung hat, und Werbeanzeige, ist eine nicht so seltene Form, um junge Erwachsene anzusprechen und ihnen Produkte und Marken näherzubringen. Auch hier sieht man, wieweit das ganze Konzept der Kampagne darauf abzielt, sich der Zielgruppe zu vermitteln und "VIVA und seine Zuschauer noch enger aneinander" (VIVA Presseheft) zu binden.
Aber nicht nur Nähe zeigt die Anzeige, durch die großformatige Darstellung von Leidenschaft und Liebe begeht die Aufnahme einen Tabubruch. Die Distanzlosigkeit bei einem sehr persönlichen Akt ist ebenfalls ein Eindruck, den das Foto hervorruft. Dieser Schockeffekt kann abschreckend wirken, so daß sich der Betrachter nicht weiter mit der Anzeige beschäftigt. Der Bildausschnitt kann so unnatürlich nah erscheinen, daß dem Betrachter kein Raum bleibt, sich mit dem Bild zu identifizieren. Die Machart der Anzeige läßt eine solche negative Lesart durchaus zu, denn die unkonventionelle Darstellung von Körperlichkeit kann gerade auf Teenager, die Konflikte um die eigene Körperlichkeit bewältigen müssen, negativ wirken.
Diese unkonventionelle Aufmachung bereitete auch die größten Schwierigkeiten bei der genauen Bildanalyse. Neben den offensichtlichen Gleichheiten ist derselbe verschlüsselte und symbolische Text in allen vier Anzeigenfotos nicht einfach zu finden. Zu stark unterscheiden sie sich in Details, die jedes Bild immer wieder zu einer Ausnahme machen. Diese Formulierung würde der Sender sicherlich auch gerne über seine Sendungen hören, somit kann diese Verschiedenheit auf den ersten Blick durchaus beabsichtigt sein. Die Individualität, die die Fotos ausstrahlen, möchte VIVA auf sein Programm übertragen, doch durch den engen Bildausschnitt sind die Personen nicht zu individuell, wirklich persönliche Merkmale fehlen. So lassen die Gesichter bei genauerer Betrachtung Raum für individuelle Projektionen und Interpretationen, ohne zu spezifisch zu werden. Dies ist nicht nur bei den Anzeigen möglich, sondern auch bei Sendungen auf VIVA, die ebenfalls nah und persönlich wirken sollen und selbstverständlich ein Massenpublikum ansprechen wollen.

Fazit

Die 'Kiss'-Anzeigenkampagne des Musikfernsehsenders VIVA scheint einzigartig zu sein. Sie provoziert, ja schockt womöglich auf den ersten Blick, ist aber in jedem Fall ein Blickfang. Genau dies muß Werbung sein, ein Blickfang, denn eine Anzeige soll zuallererst Aufmerksamkeit erregen. Doch nicht für jedes Produkt wäre ein solch provozierendes Motiv förderlich, nur für ein junges Produkt, wie nämlich den jungen Musiksender VIVA, paßt die Anzeige wie die berühmte Faust auf's Auge. VIVA bzw. der Werbeagentur (Boros Agentur für Kommunikation) ist es gelungen, eine Anzeigenserie zu schaffen, welche den Rezipienten emotional trifft. Sie spricht das Thema Liebe und Sexualität äußerst direkt und authentisch an, konfrontiert direkt und ohne Umschweife.
Die Jugendlichen werden nicht als konzentrierte Fernsehseher gezeigt, sondern nutzten den Musikkanal eher als Radio mit Bildern, welches man beiläufig konsumiert und bei Gefallen lauter dreht und hinsieht.
Die Jugendlichen identifizieren sich mit dieser Anzeige. Dies beweist die Reaktion des Zielpublikums auf diese Werbekampagne. Der Fernsehsender bzw. die Agentur erhielten nämlich reihenweise private Fotos von jugendlichen Konsumenten geschickt, welche die Fotos der Kampagne imitieren. Die Fotos zeigen die Jugendlichen in ihrem alltäglichen Leben (z.B. beim Bügeln oder Kochen), ungestellt und von äußerst authentischer Nähe. VIVA setzte mit diesen zugesandten Fotos die Werbekampagne fort und demonstrierte so gleichzeitig wiederum Nähe zum Publikum.
Auch innerhalb der Werbebranche hat die Kiss-Kampagne für Aufsehen gesorgt und wurde bei der Wahl der besten Anzeigen 1997 durch die Werbefachzeitung Horizont mit dem Award für "Anzeige für Innovation und Mut" ausgezeichnet.

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Music video: questions of performance, pleasure and address (englisch)
Toward A Critical Theory of Advertising von John Harms und Douglas Kellner (englisch)
Linksammlung zu studentischen Arbeiten, darunter viele semiotische Analysen von Werbeanzeigen (englisch)
Große Linksammlung zur Analyse von medialen Texten (englisch)
voxpop: Projekt zu Sprache & Popmusik / Angloamerikanismus & Popkultur
Telepolis Artikel zum Konkurrenzkampf von VIVA und MTV
Trendbüro Hamburg (braucht Flash...)
Kleine Informationsbroschüre zum Jugendmarketing [PDF]
Aufsatz zur Konkurrenzsituation der beiden deutschsprachigen Musiksender
Hausarbeit über die Markenstrategien der beiden Musiksender MTV und VIVA
Literaturliste

BARTH, M.; NEUMANN-BRAUN, K.: "Augenmusik. Musikprogramme im deutschen Fernsehen - am Beispiel MTV" in: Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LfK) (Hg.): "Fernseh- und Radiowelt für Kinder und Jugendliche." Schriftreihe der LfK, Band 3A. Villingen: Neckar Verlag 1996
COUPLAND; Douglas: "Generation X - Geschichten einer immer schneller werdenden Kultur", Goldmann Verlag, München 1991
FARIN, Klaus: "Mutter Coca Cola statt Vater Marx" in: Erziehung und Wissenschaft Nr.2/1996
HARTMANN, Hans A.; HAUBL, Rolf (Hrsg.): "Bilderflut & Sprachmagie. Fallstudien zur Kultur der Werbung", Westdeutscher Verlag; Opladen 1992
JANKE, Klaus et al. (Hrsg.): "Echt abgedreht - Die Jugend der 90er Jahre." Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1995
JUNG, Thomas; MÜLLER-DOOHM, Stefan (Hrsg.): ""Wirklichkeit" im Deutungsprozeß. Verstehen und Methoden in den Kultur- und Sozialwissenschaften." Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; Frankfurt a. M. 1995
KEMPER, Peter: "Weltfernsehen MTV: Ein Clip zieht ins Herz, nicht ins Hirn"; Frankfurter Allgemeine Magazin, Heft 823; 1995
OERTER, R.; MONTADA, L. (Hrsg.): "Entwicklungspsychologie", Psychologie Verlags Union; Weinheim,1995
RUESS, Annette: "Kids mit Kohle", Wirtschaftswoche Nr.51/1995
SCHMIDBAUER Michael; LÖHR Paul: "Das Programm für Jugendliche: Musikvideos in MTV Europe und VIVA" in Televizion 2; 1996
WIPPERMANN, Peter; Trendbüro (Hrsg.): "Anzeigetrends. Was bleibt, was geht, was kommt?", Verlag Hermann Schmidt, Mainz 1997

Pressemappe des Musikfernsehsenders VIVA zur Kiss-Werbekampagne

Bemerkungen:
Diese Hausarbeit entstand im Rahmen des Seminars "Aktuelle Entwicklungen der Medienkommunikation: Videoclips und Musikfernsehen" im Wintersemester 1997/98. Diese Veranstaltung fand am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (Schwerpunkt Sozialisation / Sozialpsychologie) an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main statt. Geleitet wurde sie von Prof. Dr. Klaus Neumann-Braun, der die vorliegende Arbeit mit "gut" (2+) benotete.
B. Reifschneider schloß sein Studium im Mai 2000 mit dem Magister Artium in Theater-, Film- & Medienwissenschaft ab und ist heute Doktorand am Fachbereich Neuere Philologien.
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Letzte Link- und HTML-Korrektur fand am 1. Januar 2005 statt.
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