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Einleitung
Die Marktsituation:
In einer im Jahre 1995 durchgeführten
Repräsentativbefragung von 6,6 Millionen 14- bis
29-jährigen, die in einem sogenannten Telekom-Kabelhaushalt
leben, wurde für VIVA eine faktische Tagesreichweite von 16,2%
(alte Bundesländer) und 15,6% (neue Bundesländer),
für MTV Europe von 8,7% (alte Bundesländer) und 10,7%
(neue Bundesländer) festgestellt, was heißt, daß
VIVA pro Tag 943.000, MTV 504.000 Zuschauer erreichte. Die
bevorzugte Altersgruppe stellen die 14- bis 29-jährigen dar,
mit einem deutlichen Schwerpunkt bei den 14- bis 19-jährigen.
Im Vergleich der beliebtesten Fernsehprogramme wird von den
Jugendlichen (14- bis 19-jährige) zu 15% VIVA und 10% MTV genannt,
was den Rängen 3 und 4 hinter RTL (30%) und Pro7 (25%)
entspricht. Bei den jungen Erwachsenen (20-29 Jahre) geben nur 4%
VIVA und nur 3% MTV als ihren Lieblingssender an (Rang 6 und 7
hinter RTL 27%, Pro7 26%, ARD 12%, Sat1 9%, ZDF 5%)
[Schmidbauer/Löhr: S.10]
Die Zahlen belegen, daß VIVA im Kampf mit dem Konkurrenten
MTV Europe seit 1995 vorne liegt. Als Gründe können
angesehen werden:
regionalspezifische Qualitäten
von VIVA, wie deutsche Moderatoren
Berücksichtigung deutscher Pop- und Rockmusik
die verstärkte Einbeziehung des Publikums durch
Call-In-Sendungen wie "Interaktiv" oder "VIVA liebt Dich"
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Die vorliegende Anzeigenkampagne verweist nun eindeutig auf
diese quantitative und qualitative Nähe zum deutschen
Publikum, indem sie die Aspekte 'Nähe' und 'Liebe' in den
Mittelpunkt stellt. Mit 'Nähe' wird die nach Quote fundierte
tatsächliche Nähe zu der Zielgruppe der 14- bis
19-jährigen dokumentiert und 'Liebe' deutet darauf hin,
daß VIVA mehr sein will bloß ein 'elektronischer
Kumpel' oder zumindest ein besser 'elektronischer Kumpel' als MTV
es ist, in dem VIVA auf die Bedürfnisse und Wünsche des
deutschen Publikums verstärkt eingeht, durch die oben
erwähnte regionalspezifische Qualität, insbesondere durch
Sendungen wie "Interaktiv", in der sich Jugendliche jeglicher Art
Rat beim Moderator einholen können, wobei das Hauptthema
'Liebe' ist.
Dies ist eine Sendeform, die es bei MTV (noch) nicht gibt. So kann
die VIVA-Kampagne auch als Antwort zur MTV-Kampagne ('Willkommen zu
Hause', 1994) verstanden werden. Während auf den MTV Plakaten
nur scheinbar individuelle, 'echte' Fotos Jugendlicher 'von neben
an' zu sehen sind, wirken die Motive von VIVA durch die
ungeschminkte Nahaufnahme tatsächlich realistischer und
authentischer, womit die von VIVA gewählte Überschrift zu
den Fotoserie "VIVA kommt jetzt noch näher" Gültigkeit
erhält und um "...näher als MTV" ergänzt werden
könnte.
Im nachfolgenden Text möchten wir zuerst den Hintergrund der
Kampagne, nämlich die werbestrategische Auseinandersetzung mit
der Zielgruppe beleuchten und im Anschluß auf die konkrete
Beschreibung der 'Kiss'-Kampagne eingehen.
Die Jugendgeneration
Wie im einführenden Teil schon beschrieben sind die 14- bis
29-jährigen 'Jugendlichen' die Zielgruppe für den
Musikfernsehsender VIVA. Diese Zielgruppe soll auch durch die
'Kiss'-Anzeigenkampagne angesprochen werden. In diesem Zusammenhang
wird sowohl von wissenschaftlicher, als auch von wirtschaftlicher
Seite der Begriff der 'Generation X' verwendet. Doch was ist diese
'Generation X' überhaupt?
'Generation X':
Wenn das Thema der jugendlichen Generationen, Jugendkulturen oder
jugendlichen Subkulturen behandelt wird, ist man gleichzeitig immer
bestrebt den 'Jugendlichen' einen Begriff wie einen Stempel
aufzudrücken. In der Vergangenheit waren dies die
'Halbstarken', die '68er', die 'No Future Generation' oder die
'Yuppies' (um nur einen Bruchteil zu nennen). Und Anfang der 90er
war es dann wieder so weit, ein neues Label zu finden und medial
auszuschlachten. Nach dem Roman von Douglas Coupland wurde die
Jugendgeneration der 90er 'Generation X' getauft. Doch was macht
diese Generation aus? Der Begriff der 'Generation X' ist zu einem
Deutungsmaßstab geworden, welcher diverse jugendkulturelle
Praktiken als lethargischen Rückzug ins Private, als Karikatur
und Zynismus gegenüber der Konsumgesellschaft interpretiert.
Die Jugendgeneration soll unfähig sein, sich unvoreingenommen
mit aktuellen Entwicklungen auseinanderzusetzen. So erklärt
sich auch das "X", ein mathematisches Zeichen für eine
Unbekannte, welches auf die Jugendlichen projiziert wurde.
Douglas Coupland war eigentlich beauftragt worden, eine Studie
über die aktuelle Jugend zu schreiben, entschied sich dann
aber für die Romanform. "Generation X" handelt von drei jungen
Leuten, die den Glauben an Glück und Wohlstand verloren und
sich an den Rand der Wüste zurückgezogen haben, um
einander Geschichten zu erzählen. Geschichten, die angeblich
eindringlich die Gefühlslage ihrer Generation wiedergeben.
"Generation X" erschien 1992 in deutscher Sprache. Nicht nur die
Story selbst, sondern auch die griffigen Wortneuschöpfungen
für aktuelle Symptome (z.B. "MCJOB = Ein niedrig dotierter Job
mit wenig Prestige, wenig Würde, wenig Nutzen und ohne Zukunft
im Dienstleistungsbereich. Oftmal als befriedigende Karriere
bezeichnet von Leuten, die niemals eine gemacht haben." [Coupland:
S.14]) sorgten dafür, daß Coupland oft und gern zitiert
wurde und wird und sich 'Generation X' als Etikett durchsetzte.
Endlich hatte man den heißgesuchten Epochenbegriff
gefunden.
Schon bald wurde die Konzeption aber von Kritikern angegriffen,
welche die Desillusionierung der jungen Erwachsenen für
überzeichnet hielten. Man sah zudem eine neue Generation der
13- bis 19jährigen heranreifen, die wieder aktiver und
kämpferischer schien als die anscheinend schlaffen Twens.
Daß diese neuen Kids vom "New York Magazin" allerdings sofort
als 'Generation Y' bezeichnet wurden, unterstreicht die
Popularität des Konzepts von Coupland.
Hinterfragt man nun die Thesen zur 'Generation X', so fällt
einen z.B. die Normalität der Antworten der jungen Erwachsenen
auf. Jugend wollte sich schon immer von der Erwachsenenwelt
abgrenzen. Warum sollte ausgerechnet die Jugendgeneration der 90er
anders sein. Natürlich sind Ausdrucksformen und
Darstellungsweisen dieser Jugend andere, aber sie unterscheiden
sich vor allem von den Lebenswelten ihrer Eltern.
So kommen Michael Barth und Klaus Neumann-Braun in ihrem Aufsatz
"Augenmusik. Musikprogramme im deutschen Fernsehen am Beispiel von
MTV" bei der Betrachtung der 'Generation X' zu dem Schluß:
"Bei dem was man findet, handelt es sich allenfalls um ein
Phantom!" Und genau dieser Begriff trifft das Label 'Generation X'
am Besten, denn ein Phantom hat "sicherlich spezifische
Eigenschaften, nur kennt man sie eben nicht". Denn viele sogenannte
Trendforscher und Populärsoziologen, die das Thema 'Generation
X' ausschlachten, mangelt es offensichtlich an Wissen oder
Nähe zur Jugend, sonst würde man einen wesentlichen Teil
der Gesellschaft nicht mit ein paar kurzen Thesen oder mit der
immer wieder zu lesenden Phrase "ein Haufen eigensinniger, bunter
Ameisen" abtun.
Die Jugend als Zielgruppe - Ein stark segmentierter Markt mit
enormer Kaufkraft:
Wenn 'Generation X' nur einen gescheiterten Versuch, eine Jugend
global zu beschreiben, darstellt, bleibt die Frage offen, ob das
generell überhaupt möglich ist. Eine mögliche
Antwort auf diese Frage gibt z.B. Klaus Farin, für den es so
etwas wie 'die Jugend' gar nicht gibt. Denn 'die Jugend' besteht
aus einer fast nicht mehr überschaubaren Zahl von Cliquen,
Gangs, Crews, Szenen, Kulturen und Subkulturen. In seinem Aufsatz
"Mutter Coca Cola statt Vater Marx" beschreibt Farin, auf was man
unmittelbar stößt, wenn man sich mit der Analyse einer
Werbeanzeige für das 'VIVA-Zielpublikum' beschäftigt:
"Die Werbebranche, deren junge PR-Agenturen und Trendscouts in
vielen Segmenten aktueller Jugendforschung besser informiert sind
als die universitäre Soziologen- und Pädagogenkonkurrenz,
hat inzwischen über vierhundert verschiedene "Jugendkulturen"
aufgespürt (und nicht wenige davon, siehe Streetball, auch
erschaffen). Alle Versuche, 'die Jugend' auf einen Nenner zu
bringen, sind a priori zum Scheitern verurteilt."
Dennoch versucht der Musiksender VIVA, in diesen anscheinend stark
segmentierten Markt, mit seiner Anzeige möglichst viele
Jugendliche zu erreichen. Denn VIVA ist ein kommerzieller
Fernsehsender, der nur dann 'überleben' kann wenn
a) die Plattenfirmen (und gleichzeitig die Teilhaber an VIVA
Warner, Polygram, Sony und EMI) durch den Sender mehr Platten
verkaufen und
b) von der Industrie bzw. deren Werbeagenturen Werbezeiten auf VIVA
gebucht werden.
Die Plattenfirmen und die Werbetreibenden, welche auf VIVA
Werbezeiten buchen, verbindet ein gemeinsames Ziel, sie möchten
der jugendlichen Zielgruppe möglichst viel Geld abgewinnen.
Die hohe Kaufkraft, welche hinter den Jugendlichen steht,
verdeutlicht eine Untersuchung des Münchner Instituts für
Jugendforschung (IJF), wonach die 15 Millionen fünf- bis
zwanzigjährigen in der Bundesrepublik Deutschland über
eine Kaufkraft von jährlich rund 30 Milliarden Mark
verfügen. Rechnet man die Sparguthaben hinzu, kommt eine Summe
von rund 35 Millionen zusammen. Und damit nicht genug, so geht man
davon aus, daß Kinder und Jugendliche noch einmal das
doppelte ihrer Kaufkraft im Familienhaushalt beeinflussen. Dies
verdeutlicht den Stellenwert der jugendlichen Zielgruppe und bildet
natürlich auch den Hintergrund für die
'Kiss'-Werbekampagne von VIVA.
Darstellung von Gemeinschaft:
VIVA versteht es, mit seiner Anzeige zwei Fliegen mit einer Klappe
zu schlagen: Durch die bewußte Authentizität der
Anzeige, welche z.B. durch die scheinbar ungeschminkten Gesichter,
abgebrochenen Fingernägel usw. dargestellt wird, wird eine Art
von Gemeinschaft hergestellt. Denn diese abgebildeten Jugendlichen
sind genau so häßlich oder schön wie die, welche
die Anzeigen ansehen und letztendlich die VIVA-Seher sind. VIVA
demonstriert so also scheinbare 'Nähe' zur jugendlichen
Zielgruppe.
Ein anderer Gesichtspunkt bei diesem Gedanken ist, daß VIVA
versucht, mit seiner 'Kiss'-Kampagne und dem Werbeslogan "...lieben
VIVA" sich den Jugendlichen als eine Art 'elektronischen Kumpel' zu
verkaufen. Sie möchten eine Alternative zu dem sein, was
Jugendliche normalerweise im Fernsehen zu sehen bekommen. Brent
Hansen, Präsident des VIVA Konkurrenten MTV Europe bringt es
mit der Aussage: "Unsere Philosophie ist es, eine Art Freund zu
sein. Ein Freund, den man besuchen kann, wann immer man Lust dazu
verspürt" [Kemper: S.9] auf den Punkt. Der Sender möchte
den Jugendlichen zu verstehen geben, daß VIVA 24 Stunden, Tag
und Nacht, ohne Pause einen Freund darstellt, den man via
Fernbedienung zu sich holen kann. Doch nicht nur Freund will man
sein, sondern noch viel mehr, nämlich eine große
Gemeinschaft Gleichgesinnter. Man möchte ein
gruppenkonstituierendes 'Wir-Gefühl' schaffen.
Hierzu trägt vor allem die kommunikative Kraft der Musik bei.
Denn längst ist diese nicht mehr nur Musik, sondern auch
Ausdruck besonderer Lebensstile, Mode, Kleidung und Sprache. So
gehören zu einem Hip-Hop-Video nicht nur die Musik, sondern
auch ein bestimmtes Outfit (Kleider, Schmuck, Frisur usw.) mit den
Tragen bestimmter Marken und sogar Gestiken, die von den
Jugendlichen imitiert werden. Musikfernsehen spielt also nicht nur
Musik, es transportiert auch jugendliche Symbolik und
Identifikationsmuster.
Ebenso steht Musik für Spaß, Sorglosigkeit,
Ausgelassenheit, Rebellion, Spontanität, Modernität,
Sinnlichkeit, Unkalkulierbarkeit und Respektlosigkeit. Dies sind
Werte, mit denen sich Jugendliche identifizieren können.
Identifikationsmuster werden nicht gezeigt:
Ebenfalls ist hinsichtlich der Abzielung auf die Jugendlichen und
die starke Segmentierung der Jugendlichen in diverse Cliquen,
Gangs, Szenen etc. auf einen anderen Aspekt der Anzeige
hinzuweisen. Die Anzeige zeigt dem Betrachter lediglich zwei
Gesichter (wenn überhaupt), keine Jacken, Pullover, Hosen,
Schmuckstücke, die auf die Mitgliedschaft in einer Szene
schließen lassen könnten. Es werden also bewußt,
so meinen wir, lediglich Gesichter gezeigt, um alle Jugendlichen
anzusprechen.
Liebe und Sexualität:
Natürlich thematisiert die 'Kiss'-Anzeigekampagne auch die
jugendliche Liebe und Sexualität. Nun ist dies ein Thema, mit
dem sich fast jeder Jugendliche beschäftigt. Dies wird auch
auf der wissenschaftlichen Ebene, der Entwicklungspsychologie,
durch ein von Havighurst erdachtes Modell "Entwicklungsaufgaben"
[Oerter/Montada: S.124] bestätigt. Hier werden der
Entwicklungsperiode Adoleszenz (13 bis 17 Jahre) u.a. die
Entwicklungsaufgaben körperliche Reifung und heterosexuellen
Beziehungen zugeschrieben und der Jugend (18 bis 22 Jahre) u.a. die
der Identität der Geschlechterrolle. Jeder Jugendliche
befaßt sich demzufolge entwicklungsbedingt mit diesen Themen.
Dies beweist auch ein Blick in diverse Jugendzeitschriften, in
denen, wie z.B. der BRAVO, stets eine Rubrik mit dem Themenkomplex
der Liebe und Sexualität beschäftigen. Zentrale Fragen
sind hier schon seit Jahren Partnerschaft, das Kennenlernen der
Sexualität, das Auseinandersetzen mit dem eigenen Körper,
Entdeckung neuer Gefühle, Identitätsfindung etc.
Das küssende Paar der Kampagne steht für solche
Problematiken der Jugendlichen, weckt möglicherweise deren
Neugierde und möchte ihnen gleichzeitig mitteilen, daß
VIVA eine Diskussionsfläche, ein Forum, für das Reden
über das neu zu entdeckende Gefühl, oder auch eine
Plattform bietet, über die man sich völlig unerfahren dem
anderen Geschlecht nähern kann (man denke hierbei an die
diversen Call-In-Shows).
Plazierung der 'Kiss'-Kampagne:
Die Jugendlichen sind mit den üblichen Marketinginstrumenten
nur schwer zu erfassen. Sie sehen andere Sendungen, lesen andere
Zeitschriften, hören andere Radiosender, reagieren anders auf
Werbung wie Erwachsene und gehen anders mit Medien um. Demzufolge
ist neben dem Design die Plazierung der Werbekampagne ein wichtiges
Element, um die Jugendlichen überhaupt zu erreichen.
Nach Senderinformationen wurde die Kampagne in Jugend- und
Szenezeitschriften wie Hit!, Mädchen, Popcorn, Pop Rocky,
Frontpage (inzwischen eingestellt), jetzt (Montagsbeilage für
Jugendliche in der Süddeutschen Zeitung), Cinema, Max,
Snowborder, Skatboard, Surfers lanciert. Neben diesen vom Sender
genannten Zeitschriften findet man die Anzeige in kostenlosen
Magazinen wie WOM-Journal, Piranha, Jam usw. Solche kostenlosen
Zeitschriften liegen oft in Schallplattenläden, Club oder
Kinos aus und werden von den Jugendlichen gerne mitgenommen. Zum
erwähnten Magazin Jam gibt es im übrigen eine direkte
Verbindung zu VIVA, denn der Jam-Herausgeber Jeanshersteller
Mustang und VIVA präsentieren die gleichnamige Sendung auf dem
deutschen Musikkanal.
In Sachen Plazierung kann man Parallelen zur MTV-Werbekampagne
'Willkommen Zuhause' (Herbst 1994) ziehen. Hier wurde die Anzeige
u.a. auch in Kinozeitschriften plaziert, die an öffentlichen
Plätzen ausliegen und kostenlos von Passanten mitgenommen
werden können.
Die Printanzeigen
Unglücklicherweise konnte nur eine einzige der Anzeigen
für diese Webseite eingescannt werden. Für eine
größere Darstellung derselben entweder hier oder auf die Bilder rechts weiter oben klicken.
Bildinhalt und Beschreibung:
Auf den Anzeigen von VIVA sieht man jeweils ein Foto von einem
jungen Paar, das sich gerade innigst küßt. Das Foto wird
durch einen farbigen Rand oben und an einer Seite eingerahmt, wobei
der seitliche Rahmen doppelt so breit ist wie der obere. Die nicht
eingerahmten Teile des Fotos berühren den Seitenrand,
während bei den eingerahmten Teilen eine weiße
Fläche bis zum Seitenrand bleibt. Die weiße Fläche
vom Rand des Rahmens zum parallelen Seitenrand ist oben etwa vier
mal so breit wie an der Seite des Bildes. Das Foto liegt mit seinem
farbigen Rahmen damit nicht zentriert auf der Doppelseite,
außerdem ist es leicht gegen den Uhrzeigersinn gedreht. Von
den vier Anzeigenmotiven berühren zwei Fotos den linken, zwei
den rechten Rand. Die einzige Ecke, die der Rahmen hat, ist auf der
Innenseite abgerundet, außen ist sie rechtwinklig. Über
dieser Ecke steht in der weißen Fläche der Text "Dani
und Sascha lieben VIVA", bzw. "Vera und Martin...", "Gordana und
Yacob..." und "Anna und Markus...". Die Textfarbe und die
Rahmenfarbe sind rot/lila, grün-blau/pink, dunkellila/hellgelb
oder magenta/hellblau.
Bei allen Anzeigen findet sich an der selben Stelle das zweifarbige
Logo "VIVA" in seiner typischen Schreibweise rechts unten, so
daß es noch auf dem Foto steht und ungefähr 5 Zentimeter
Platz bis zum rechten Seitenrand läßt. Etwa ein Viertel
des Logo ist von dem unterem Seitenrand abgeschnitten.
Eine einheitliche Beschreibung der Fotos ist etwas problematisch,
da sich in Details der Bildgestaltung die Fotos voneinander immer
wieder unterscheiden, eine Tatsache, die den besonderen Charakter
des Bildes ausmacht. Jedoch sind zwei Merkmale auffällig, die
bei jedem Bild sofort ins Auge stechen. Zum einem ist es die
Tatsache, daß die beiden Akteure ungeschminkt fotografiert
sind, zum anderem ist die extreme Nähe der Kamera zu ihrem
Motiv ungewöhnlich.
Zu sehen sind ein Junge und ein Mädchen, ungefähr 14 bis
22 Jahre alt, die in einem heftigem Zungenkuß versunken sind.
Die Haut wirkt fettig und unrein, was dadurch hervorgerufen wird,
daß die Personen nicht abgepudert sind, so daß ihre
Haut unter der Beleuchtung glänzt. Die Ausleuchtung ist zwar
hell, aber nicht zu stark und nicht vollständig, es bleiben
Stellen, an denen es Schatten gibt oder die dunkler sind. Fast die
gesamte Fläche wird von den Gesichtern eingenommen, kleine
Stellen zeigen einen schwarzen Hintergrund. Dunklere Stellen,
Haare, Augenlider, Schatten, und große rötliche
Flächen bestimmen das Bild, welches uneinheitlich bleibt und
bei jedem der vier Motive eine andere Bildkomposition hat.
Der Bildausschnitt ist so gewählt, daß man die Gesichter
in Großaufnahme von der Seite sieht. Man sieht die Gesichter
vom Haaransatz des einen bis zum Wangenknochen oder Haaransatz des
anderen, obwohl es tatsächlich nicht so genau festzumachen ist
(z. B. kann man in zwei Fällen ein Ohr sehen). Meistens
schließt der Rand kurz unter der Unterlippe ab, die obere
Begrenzung begrenzt nach oben dicht über den Augenlidern oder
den Augenbrauen. In allen vier Anzeigen sind Teile der Hand oder
zumindest ein Finger am Gesicht zu sehen, als ob der Kopf von dem
anderem Partner mit den Händen festgehalten wird. Die Augen
sind fast immer geschlossen, zwei Jungen haben ihre Lider leicht
geöffnet. In drei Bildern kann man in den Mund von einem der
Personen sehen und sieht zweimal die feucht rote Zunge und einmal
weiße Zähne.
Die vier Paare sind ausschließlich gemischtgeschlechtlich,
bis auf einen Jungen sind es hellhäutige Jugendliche. Aufgrund
seiner dunkleren Haarfarbe und wüllstigeren Lippen scheint
dieser Junge aus einem südlichen Kulturkreis zu stammen. Die
Haarfarben der Personen, soweit man sie identifizieren kann, sind
vielfältig, mit schwarz über braun, blond, naturrot und
rot-getönt sind die häufigsten Haarfarben vertreten.
Frauen wie Männer haben bis auf eine Ausnahme kein Make-up,
statt dessen erkennt man Hautunreinheiten, Sommersprossen,
Bartstoppeln, eingerissene Fingernägel und ähnliches bei
einzelnen Jugendlichen. Allerdings sieht man an den Abgebildeten
keine besonderen Merkmale wie auffällige Narben, Leberflecke
oder andere Makel.
Wie die individuellen Darsteller von Foto zu Foto verschieden ist,
ist die Bildkomposition auf den ersten Blick uneinheitlich. Die
Anordnung der beiden Kußpartner, ihre Gesichtsrichtungen und
welcher von beiden näher zur Kamera ist, folgt keinem Muster.
Mal nimmt das Mädchen rechts vorne den meisten Raum ein, mal
der Junge links hinten, in keinem Fall haben die beiden die gleiche
Raumaufteilung in einem Bild. Die einzige Gemeinsamkeit, die auf
allen Fotos zu finden ist, sind diagonale Bildlinien. Die
verschiedenen Gesichtselemente und Schattenzonen ergeben pro Foto
sieben und mehr Diagonalen, die von Bild zu Bild unterschiedlich
angeordnet und ausgerichtet sind.
Bildinterpretation:
Ohne den Text zunächst wahrzunehmen, blättert der
Rezipient auf die zumeist DIN A3 große Doppelseite, auf der
sich ein Motiv der VIVA-Kampagne befindet. Der erste, sicherlich
gewollte Eindruck ist ein Art von Schock, der auf diese
unverhohlene Darstellung von Körperlichkeit und Leidenschaft
antwortet. Der Betrachter ist Zeuge eines sehr intimen Akts, den
die beiden jungen Menschen vollführen. Diese sind völlig
versunken in ihre 'Tätigkeit', dies zeigen die geschlossenen
Augen, die Hände im Bild und das vollständig aufeinander
orientiert sein. Kein Raum ist zwischen ihren Gesichtern, sie
überschneiden sich sogar.
Durch die Überdimensionalität und die nicht-weitwinklige
Linse wirkt die Fotographie sehr flach und eindimensional. Dieser
Verfremdungseffekt verstärkt den Ausdruck von Nähe, den
VIVA mit dieser Kampagne sich zu eigen machen will. Die Kampagne
"zeigt eindringlich, wie wichtig Nähe ist - in jeder Hinsicht"
bemerkt VIVA zu den Motiven. Der Bildausschnitt ist ebenfalls so
ungewöhnlich groß gewählt, daß jede Distanz
zwischen dem Foto und dem Betrachter verloren zu gehen scheint. Der
Betrachter soll den Eindruck haben, ganz nah am Gezeigten zu sein.
Er sieht zwei Menschen, die sich sehr zu lieben scheinen, da sie
große Zuneigung füreinander zeigen, in dem sie sich so
offen küssen. Auch 'Liebe' ist ein Aspekt, den VIVA betonen
will. Liebe ist das zweite Schlagwort, unter dem VIVA seine
Kampagne laufen läßt, neben 'Nähe'. Und diese
'Liebe', ob gespielt oder real, besteht zwischen den beiden
Personen auf dem Foto. Das Pärchen soll die Begriffe 'Liebe'
und 'Nähe' visualisieren. Aber das wird der Rezipient beim
ersten Betrachten nicht sofort lesen, sondern er wird durch die
Doppelseite Anzeige irritiert werden.
Doch nicht nur des Inhalts wegen löst die Anzeige dieses
Gefühl aus, auch die anderen Bildelemente und
Kompositionsmittel helfen mit, dieses Festhängen des
Betrachters zu bewirken. Die leichte Schrägstellung, in der
sich das Foto mit seinem Rahmen befindet, ist so gering, daß
sie zunächst nicht bewußt bemerkt wird. Statt dessen
zielt die Verschiebung des Bildes und dessen zweiseitige Rahmung
wohl darauf ab, Spannung auf der Doppelseite zu erzeugen. Die
unsichtbaren diagonalen Bildlinien rufen ebenfalls Dynamik hervor,
die darauf angelegt ist, den Zeitschriftenleser für einen
Moment sich mit der Anzeige zu beschäftigen. Ferner sind die
Rahmen- und Textfarben auf Jugendlichkeit ausgerichtet, die
unsymmetrische Anordnung der Anzeigenkomponenten und der offene
Rahmen sind unkonventionell und heben hervor, daß Teenager
die Adressaten sind.
Es läßt sich sagen, daß die äußere Form
und die Anordnung der Anzeigenelemente insgesamt darauf abzielen,
die Aufmerksamkeit des Betrachters zu fesseln, der Inhalt in Form
des Foto macht dies ebenfalls deutlich und zeigt den Bildtext, der
VIVA wichtig sind. Vogt schreibt bei seiner
"kultursoziologisch-semiotischen Studie zu Text-Bild-Montagen":
"Ein Porträtfoto, das nicht auf Identifizierbarkeit zielt,
verändert seinen Zeichencharakter" [Hartmann/Haubl: S.167].
Zwar haben wir es bei der VIVA-Anzeige nicht unbedingt mit einem
Porträtfoto zu tun, doch wie das Porträtfoto das "Zeichen
einer Beziehung zwischen zwei Personen" (ebenda) ist, ist dies auch
das Foto bei der VIVA-Anzeige. Dadurch, das aber keine
Identifizierbarkeit mehr besteht, wirft es die Frage auf, "warum
ist das Gesicht hier abgebildet, welche Botschaft enthält es?"
(ebenda)
Bildtext und Werbebotschaft:
Die Anzeige enthält den Text "Dani und Sascha lieben VIVA"
(bzw. andere Eigennamen). Dadurch, daß dies die
Bildüberschrift ist, suggeriert der Satz zunächst,
daß es sich bei den abgebildeten Personen um Dani und Sascha
handelt. Das Produkt, für das geworben wird, wird genannt, und
zwar nicht als Subjekt, das sich präsentiert, sondern als
Objekt am Ende des Satzes. Handelnde sind die beiden jungen
Erwachsenen auf dem Foto, die augenscheinlich sich gegenseitig
lieben, das macht der Text mit der Wortwahl von "lieben"
endgültig klar, doch damit wird das Foto nicht
entschlüsselt. Das Produkt wird nicht gezeigt, es befindet
sich nicht im Bild, außer dem kleinen Logo, es wird zudem
vorausgesetzt, zu wissen, was "VIVA" ist. Was man mit einem
Videoclipkanal eher verbindet, einen Fernseher oder Musiker,
Moderatoren oder Kameras, ist nicht sichtbar, stattdessen aber zwei
Personen, die sicherlich anderes im Kopf haben als
VIVA-Schauen.
Der Betrachter muß also einen Moment nachdenken, wenn er die
Anzeigenaussage erschließen will. Die Bildüberschrift
"Dani und Sascha lieben VIVA" lehnt sich an eine bekannte Sendung
des Senders an, "VIVA liebt Dich". Diese Sendung ist ein
Aushängeschild des Senders, sie ist ein Merkmal, mit dem sich
VIVA deutlich von dem Programm von MTV abgrenzt. Die Anzeige
verweist demnach auf eine spezifische Sendung des Musiksenders.
Aber dadurch, daß diese Sendung nicht ausdrücklich
genannt wird, es werden zum Beispiel keine Uhrzeiten genannt, zu
denen sie ausgestrahlt wird oder was ihr Inhalt ist, wird viel mehr
Vorwissen als selbstverständlich vorausgesetzt. Und so
verweist die Anzeige nicht nur auf eine besondere Sendung im
Fernsehen, sondern dadurch, daß sie dieses Vorwissen aufruft,
verweist sie auf den Kanal, der diese Sendung anbietet, selbst.
Gleichzeitig, weil VIVA mit dieser Sendung für sich wirbt,
werden die Vorzüge des Senders ins Gedächtnis gerufen.
VIVA ist der Musiksender, der sich mit deutschsprachigem
jugendorientiertem Programm um die Bedürfnisse seines
Publikums kümmert, im Gegensatz zum fremdsprachigen MTV.
Für den Anzeigenleser, der nicht dieses Vorwissen hat, wird
mit dem Foto versucht, Assoziationen zu wecken. Ein Fernsehsender,
der mit riesigen Nahaufnahmen für sich wirbt, zeigt damit
'Nähe', VIVA hat also die Auffassung, "näher dran zu
sein", wie eine andere häufige Werbeaussage von Massenmedien
lautet. VIVA will nah an seiner Zielgruppe sein und dieses
Verlangen visualisiert sich in der Anzeige mit dem unten
abgeschnittenen VIVA-Logo. Um es vollständig zu sehen,
müßte sich die Kamera weiter von ihrem Motiv entfernen,
doch das ist nicht erwünscht, man will lieber zeigen,
daß sich VIVA in äußerster Nähe zu seinen
Zuschauern befindet.
Die Bildüberschrift sagt nicht nur, daß die zwei
Personen VIVA kennen, sie lieben den Sender sogar. Was kann ein
Fernsehsender bieten, daß sein jugendliches Publikum ihn
liebt? VIVAs Programm bietet Möglichkeiten für den
Zuschauer, seine Liebe zu finden in Form von Partnervermittlung,
oder ist ein fürsorglicher Freund, den man um Rat und Hilfe
befragen kann. VIVA ist, das zeigt die Anzeige, ganz nah an der
Lebenswelt der Teenager und beschränkt sich nicht auf
Passivität, sondern die Anfragen seiner Zuschauer, die
Kommunikation mit dem Publikum, stellt einen wichtigen Bestandteil
des Programms von VIVA dar. Und dafür wird VIVA geliebt von
denjenigen, die es schauen.
VIVA stellt sich damit gegen das weitverbreitete Vorurteil,
daß Fernseh-Schauen zur Vereinsammung führt. Bei diesem
Sender ist eher das Gegenteil der Fall, verkündet die Anzeige.
So können sich Dani und Sascha über VIVA kennengelernt
haben oder Beziehungsprobleme geklärt haben. Das Foto, das
keine perfekt geschminkten Models zeigt, sondern unvorbereitete
(für das Werbefoto) Teenager, erleichtert es, daß der
Betrachter sich mit den Personen identifizieren kann und in ihnen
ein Vorbild sieht, welches er durch VIVA-Konsum erreichen kann.
Weitere Beobachtungen und Ergebnis:
VIVA sieht die Anzeigen in einer Tradition mit der klassischen
Kunst. Mit diesen "Motiven interpretiert die Kampagne ein uraltes
Motiv der Kunstgeschichte auf erregende Weise neu" (VIVA
Eigenwerbung), gibt die Pressemappe des Senders bekannt. Damit
schließt sich diese Kampagne einer jüngeren Bewegung in
der Werbebranche an, die Zänker in seinem Aufsatz "Amor &
Psyche. Werbung, Mythos und Kunst" aufzeigt: "Erst jüngst
wurde von Werbefachleuten, insbesondere von Werbefotografen, eine
'neue Bildsprache' in der Werbung gefordert". Gemeint ist damit,
den Werbefotos mehr künstlerischen Gehalt zuzusprechen und
diese bewußt in den Kontext mit der Kunstgeschichte zu
setzen. "Nach der bildjournalistischen Werbung der siebziger Jahre
ist nun Foto-Kunst angesagt." Zwar trachtet "sich die Werbung
durch 'künstlerische' Qualitäten oder schlicht als
'Kunst' zu nobilitieren", "sie bleibt aber letztlich, auch gegen
andersgeartete Intentionen der Werber und Designer, nämlich
als Werbung 'per definitionem', von ihr ausgeschlossen"
[Hartmann/Haubl: S.136ff], lautet das Resultat von
Zänker.
Die VIVA-Anzeigen sollen demnach 'Kunst' sein. Mit diesem Anspruch
möchte VIVA mehr Akzeptanz bei den Jugendlichen finden, die
marktschreierische Phrasen satt haben und offensichtlicher
'Werbung' mißtrauisch gegenüber stehen. Ein weiterer
Versuch, der jugendlichen Zielgruppe näher zu kommen, ist die
Art und Weise, wie die Paare auf den Fotos ausgewählt wurden.
Monate vor dem Beginn der Kampagne schaltete VIVA Anzeigen in
größeren Szene-Zeitschriften und Stadtmagazinen, in
denen in einer Art Preisausschreiben nach real existierenden Paaren
gesucht wurde, und deren Gewinner auf den Fotos der VIVA-Anzeigen
abgebildet würden. Diese Vermischung von Preisausschreiben,
welches immer eine einkalkulierte PR-Wirkung hat, und Werbeanzeige,
ist eine nicht so seltene Form, um junge Erwachsene anzusprechen
und ihnen Produkte und Marken näherzubringen. Auch hier sieht
man, wieweit das ganze Konzept der Kampagne darauf abzielt, sich
der Zielgruppe zu vermitteln und "VIVA und seine Zuschauer noch
enger aneinander" (VIVA Presseheft) zu binden.
Aber nicht nur Nähe zeigt die Anzeige, durch die
großformatige Darstellung von Leidenschaft und Liebe begeht
die Aufnahme einen Tabubruch. Die Distanzlosigkeit bei einem sehr
persönlichen Akt ist ebenfalls ein Eindruck, den das Foto
hervorruft. Dieser Schockeffekt kann abschreckend wirken, so
daß sich der Betrachter nicht weiter mit der Anzeige
beschäftigt. Der Bildausschnitt kann so unnatürlich nah
erscheinen, daß dem Betrachter kein Raum bleibt, sich mit dem
Bild zu identifizieren. Die Machart der Anzeige läßt
eine solche negative Lesart durchaus zu, denn die unkonventionelle
Darstellung von Körperlichkeit kann gerade auf Teenager, die
Konflikte um die eigene Körperlichkeit bewältigen
müssen, negativ wirken.
Diese unkonventionelle Aufmachung bereitete auch die
größten Schwierigkeiten bei der genauen Bildanalyse.
Neben den offensichtlichen Gleichheiten ist derselbe
verschlüsselte und symbolische Text in allen vier
Anzeigenfotos nicht einfach zu finden. Zu stark unterscheiden sie
sich in Details, die jedes Bild immer wieder zu einer Ausnahme
machen. Diese Formulierung würde der Sender sicherlich auch
gerne über seine Sendungen hören, somit kann diese
Verschiedenheit auf den ersten Blick durchaus beabsichtigt sein.
Die Individualität, die die Fotos ausstrahlen, möchte
VIVA auf sein Programm übertragen, doch durch den engen
Bildausschnitt sind die Personen nicht zu individuell, wirklich
persönliche Merkmale fehlen. So lassen die Gesichter bei
genauerer Betrachtung Raum für individuelle Projektionen und
Interpretationen, ohne zu spezifisch zu werden. Dies ist nicht nur
bei den Anzeigen möglich, sondern auch bei Sendungen auf VIVA,
die ebenfalls nah und persönlich wirken sollen und
selbstverständlich ein Massenpublikum ansprechen wollen.
Fazit
Die 'Kiss'-Anzeigenkampagne des Musikfernsehsenders VIVA scheint
einzigartig zu sein. Sie provoziert, ja schockt womöglich auf
den ersten Blick, ist aber in jedem Fall ein Blickfang. Genau dies
muß Werbung sein, ein Blickfang, denn eine Anzeige soll
zuallererst Aufmerksamkeit erregen. Doch nicht für jedes Produkt
wäre ein solch provozierendes Motiv förderlich, nur
für ein junges Produkt, wie nämlich den jungen
Musiksender VIVA, paßt die Anzeige wie die berühmte
Faust auf's Auge. VIVA bzw. der Werbeagentur (Boros Agentur
für Kommunikation) ist es gelungen, eine Anzeigenserie zu
schaffen, welche den Rezipienten emotional trifft. Sie spricht das
Thema Liebe und Sexualität äußerst direkt und
authentisch an, konfrontiert direkt und ohne Umschweife.
Die Jugendlichen werden nicht als konzentrierte Fernsehseher
gezeigt, sondern nutzten den Musikkanal eher als Radio mit Bildern,
welches man beiläufig konsumiert und bei Gefallen lauter dreht
und hinsieht.
Die Jugendlichen identifizieren sich mit dieser Anzeige. Dies
beweist die Reaktion des Zielpublikums auf diese Werbekampagne. Der
Fernsehsender bzw. die Agentur erhielten nämlich reihenweise
private Fotos von jugendlichen Konsumenten geschickt, welche die
Fotos der Kampagne imitieren. Die Fotos zeigen die Jugendlichen in
ihrem alltäglichen Leben (z.B. beim Bügeln oder Kochen),
ungestellt und von äußerst authentischer Nähe. VIVA
setzte mit diesen zugesandten Fotos die Werbekampagne fort und
demonstrierte so gleichzeitig wiederum Nähe zum Publikum.
Auch innerhalb der Werbebranche hat die Kiss-Kampagne für
Aufsehen gesorgt und wurde bei der Wahl der besten Anzeigen 1997
durch die Werbefachzeitung Horizont mit dem Award für "Anzeige
für Innovation und Mut" ausgezeichnet.
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