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Dr. Loewensteins Abhandlung
1.) Einführung und Symptomatik:
Rudolph Loewenstein beschreibt einen Fall aus einer Analyse, die
über 25 Jahre vor der Veröffentlichung 1956 Anfang der
Dreißiger Jahre stattfand. Die Patientin war eine
verheiratete Frau Anfang Dreißig, die in ständiger Angst
lebte "von der alten Frau berührt zu sein" ("touched by the
old woman"). Die Symptome einer schweren Zwangsneurose führten
dazu, daß sie jeden Tag ihre Psychoanalytikerin sehen
mußte. Dr. Loewenstein wurde nun von dieser
ausländischen Kollegin gebeten, sich um diese Patientin in der
Zeit ihres Aufenthalts in Paris zu kümmern. Da dies nur eine
kurze Zeitspanne sein sollte, akzeptierte Loewenstein seine Rolle,
sich passiv und beobachtend um die Frau zu kümmern, da sich
die Behandlung weiterhin in den Händen der anderen
Analytikerin befand. Jede Sitzung lief so ab, daß die
Patientin Mme. N. einen Traum der vorangegangenen Nacht
erzählte und zu diesem 'Assoziationen' lieferte.
Ein paar Monate nach der Rückkehr der Patientin fragte die
Analytikerin Dr. Loewenstein, ob er nicht die Behandlung ganz
übernehmen wolle, da die Patienten keinerlei Fortschritte bei
ihr gemacht hatte. In einem Brief zählte die Analytikerin die
Details zu diesem Fall auf, die aus einer ausführlichen Liste
von sogenannten "Komplexen" der Patientin bestand und so
umfangreich war, daß man hätte denken können, die
aufgezählten Komplexe würden zu mehreren Patienten
gehören und nicht einer einzigen, die spezifischen Probleme
der Patientin waren dadurch nicht besonders erhellt.
Jedoch die Schwere der Symptome, besonders jahrelang anhaltende
Angstzustände und die endlosen zwanghaften Waschung, die
außer der Behandlung keinerlei andere Aktivitäten
zuließen, machten eine schnelle Beurteilung des Falles nicht
einfach. Daher sagte Dr. Loewenstein zunächst nur zu, für
eine Periode von sechs bis acht Monaten die Frau zu analysieren und
danach zu entscheiden, ob er sich für fähig empfindet,
eine erfolgreiche Behandlung durchzuführen.
Wie schon erwähnt, litt die Patientin an Ängsten und
einer zwanghaften Furcht, "die alte Frau berührt zu haben".
Dabei ging es nicht um die Angst, von einer realen alten Frau
berührt worden zu sein, sondern mit irgendetwas in Kontakt zu
kommen, das von der "alten Frau", einer Haushälterin, die vor
einigen Jahren einmal bei ihr gearbeitet hatte, berührt worden
sein könnte. Es war unbedeutend, ob es sich dabei um einen
Mann oder eine junge Frau oder einen Tisch handelte, oder ob das
Objekt sehr nah oder mehrere Meter weit weg von der Patientin war.
Einzig die Vorstellung, daß diese Haushälterin ein
Objekt berührt haben könnte und damit "contaminated"
hatte, führte dazu, daß sich die Patientin von allen
möglichen Arten von Objekten, einschließlich der
Psychiatercouch, isolierte, in dem sie unzählige Schichten von
Papiertaschentücher darauf ausbreitete. Jeden Morgen
führte sie ein eingespieltes Ritual durch und begann, sich
stundenlang mit Wasser und Seife zu waschen, wobei ihr oft die
Zwangsvorstellung kam, daß sie irgendwie die alte Frau
berührt haben könnte und noch einmal von vorne anfing.
Das Resultat war, daß sie nur noch mit weit von ihrem
Körper gehaltenen Hände herumlief und jeden Kontakt mit
Möbeln in einem Zustand anhaltender panischer Angst
vermied.
Ein ständiges Problem war es, neue Kleider zu bekommen. Sie
hatte zwar eine große Anzahl von Kleidern, von denen jedes
von den anderen durch Papierschichten getrennt war, jedoch war sie
unfähig, eines davon zu berühren, da sie "von der alten
Frau berührt" worden waren. Sie war also ständig mit der
angstmachenden Aufgabe beschäftigt, neue Kleider zu kaufen.
Eine bemerkenswerte Ambivalenz war es, daß sie ihre Haare nur
ein- oder zweimal im Jahr wusch und auch ihre Unterwäsche
monatelang trug, da diese sauber sein müßten, weil sie
sich so oft wusch (viele Zwangsneurotiker haben solche
offensichtlichen 'blinden Flecke'). Das ganze Leben der Patientin
war von der Neurose eingenommen, sie hatte keine Zeit für
Erholung oder Berufstätigkeit.
2.) Leben und Leidensweg der Patientin:
Die Patientin Mme. N. war das zweitjüngste von vier
Geschwistern einer Kleinstadt-Bürgerfamilie. Während sie
von ihren beiden älteren Brüdern ein größerer
Altersunterschied trennte, war sie mit ihrer jüngeren
Schwester sehr eng verbunden, bei der sie auch zur Zeit der
Behandlung in Paris wohnte. Sie selbst war das Lieblingskind ihres
autoritären Vaters. Dessen autoritäre Haltung würde
sich später bei auftretenden finanziellen Problemen
ändern, was nicht unbedeutenden Einfluß auf die Neurose
haben sollte.
Die ersten Anzeigen einer Neurose hatte sie im Alter von 16 Jahren,
als sie Klavierspielen lernte. Sie war davon so fasziniert,
daß sie Musikerin oder Künstlerin werden wollte, was ihr
Vater strengstens untersagte, der wünschte, daß sie
heiratete und Kinder haben sollte. Daraufhin bekam die Patientin
Konzentrationsstörungen, die es ihr verwehrten, weiterhin so
gut Klavier zu spielen.
Einige Jahre später sollte sie einen netten jungen Mann
heiraten, den ihre Eltern für sie ausgesucht hatten, den Sohn
von Familienfreunden. Sie rebellierte gegen diese Entscheidung und
weigerte sich, sie anzunehmen. Daraufhin fuhr sie mit ihrer
Schwester für ein Wochenende weg, und hatte eine Affäre
mit einem Mann, den sie nie zuvor gesehen hatte und nie wieder
sehen würde. Diese Episode erzählte sie unter Tränen
und Gewissensbissen ihrer Mutter, um ihr zu beweisen, daß sie
nun nicht mehr den jungen Mann heiraten könnte. Aber ihr Vater
blieb hart und so heiratete sie ihn.
Während ihren Flitterwochen brach ihre Neurose endgültig
in der Form von anhaltenden Angstzuständen und Depressionen
aus. Sie kam in Behandlung bei Dr. X., der sie mit einer Art
"katharsischer" Technik (cathartic technique) ohne großen
Erfolg behandelte. Nach zwei Jahren, in denen auch ihr Mann von der
vorehelichen Affäre ohne größeren Groll erfuhr,
wurde die Behandlung beendet. Weitere zwei Jahre kümmerte sich
ein Dr. Y. um sie, der die Behandlung ohne weitere Ratschläge
und Hilfsangebote abbrach, nachdem die Patientin Selbstmordgedanken
zu äußern begann. Ihre Angstzustände wurden
schlimmer und sie ging zu Dr. Z., bei der sie elf Jahre in
Behandlung sein sollte. Von ihr übernahm danach Dr.
Loewenstein den Fall. Die ersten fünf Jahre bei Dr. Z. zeigte
Mme. N. verschiedene Angstzustände, Depressionen und Phobien.
Darunter war die Furcht, eine Straße oder einen Platz zu
betreten, dessen Name eine Andeutung auf Rost oder Rot beinhaltete.
In der Analyse kam heraus, das diese Farbe in dem Name des Mannes
enthalten war, mit dem sie ihre Affäre gehabt hatte.
Nach fünf Jahren verschlimmerte sich ihr Zustand und nahm die
vorweg beschriebene Form an. Unmittelbar davor waren entscheidende
Ereignisse in dem Leben der Patientin passiert. Ihr Vater verlor in
geschäftlichen Schwierigkeiten sein gesamtes Vermögen,
woraufhin die ganze Familie in finanzielle Nöte kam. Mme. N.'s
Vater erlaubte daher in dieser Situation, daß die
jüngere Schwester den Mann heiraten konnte, den sie liebte,
einen Künstler ohne Geld oder Position. Dies hatte einen
tiefschürfenden Effekt auf die Patientin. Und während
sich die finanzielle Lage weiter zuspitzte, erbte ihr eigener
Ehemann ein Vermögen von seinem Vater. Dadurch war die
Patientin die einzige ihrer Familie, die keine Geldprobleme hatte,
ein Zustand, der sie sehr bedrückte. Und ihre Demütigung
war komplett, als ihr Vater, den sie immer geliebt und
gefürchtet hatte, sich bei ihrem Ehemann Geld lieh und es
später nicht zurückzahlen konnte. Ihr Zustand
verschlechterte sich schlagartig, nachdem sie für kurze Zeit
eine Haushälterin einstellte, die sie fürchtete und
haßte. Diese blieb nur für vier Wochen bei der Familie,
aber der psychische Schaden war geschehen, sie sollte von nun an
von der Zwangsneurose besessen sein. Die Haushälterin wurde
die "alte Frau", die die Patientin in deren Vorstellung verfolgte.
Sie konnte es nicht mehr ertragen, irgendwelche Gegenstände zu
berühren, die "die alte Frau" angefaßt hatte. Sie hatte
selbst Probleme, mit ihrem Ehemann im selben Bett zu schlafen, der
mit Schichten von Papiertaschentüchern von ihr getrennt wurde,
woraufhin der Geschlechtsverkehr zwischen beiden weniger
häufig wurde als bisher. Ihre Ängste wurden
unerträglich, und um jede Spur von einem Kontakt von der alten
Frau zu beseitigen, begannen die täglichen Waschrituale.
Dieser Zustand sollte die nächsten sechs Jahre weitergehen,
ohne daß Dr. Z. eine Chance sah, ihn zu verbessern, und sie
der Patientin mehrfach riet, sich an einen anderen Doktor zu
wenden, was diese ablehnte. Dr. Z. und Mr. N. schlossen daraufhin
im Geheimen die Übereinkunft, daß Dr. Z. kein Honorar ab
da an (für sechs Jahre!) verlangen würde.
3.) Die Analyse der Zwänge und Neurosen:
Das Verhalten der Patientin in der Analyse folgte, wie schon
erwähnt, einem regelmäßigen Muster. Sie vermied
jeden Kontakt zu den Möbeln und deckte die Couch mit
Taschentüchern zu und legte sich darauf. Daraufhin flehte sie
Dr. Loewenstein unter Tränen an, daß er ihr versichere,
daß sie nicht "von der alten Frau berührt" worden sei.
Danach erzählte sie einen Traum und begann dazu Assoziationen
zu sammeln. Diese Assoziationen waren Phantasien von symbolischen
Interpretationen einzelner Traumsymbole, und waren mit kleinen
Ausschnitten aus ihrem Leben verbunden. Es war für Dr.
Loewenstein offensichtlich, daß die Patientin ein
eingefahrenes Muster aus ihrer früheren Analyse bei ihm auf
diese Weise fortsetzte. Als er nach einigen Wochen eine
Interpretation eines Traumes lieferte, war Mme. N. indirekt
anscheinend sehr beeindruckt, so daß sie am nächsten Tag
einen neuen Traum mit neuen Assoziationen lieferte, was den
Analytiker sehr zufriedenstellte. Ein paar Wochen später
passierte dasselbe noch einmal, und die Zufriedenheit des
Analytiker wich einer Unsicherheit. Denn es war seltsam, daß
die Interpretationen so schnell Bestätigung fanden, ohne
daß irgendeine Form von Widerstand im Patienten sichtbar war,
gerade bei einem so schwerwiegenden Fall. Etwas später geschah
dies ein drittes Mal, ohne daß sich irgendeine
Veränderung zeigte, so daß sich Dr. Loewenstein sicher
war, auf der falschen Fährte zu sein. Die eigentlichen
Interpretationen waren mehr oder weniger irrelevant. Es wurde ihm
klar, daß die ganze Behandlung, die einzelnen Sitzungen, ihre
Assoziationen und seine Interpretationen eine Art magisches Ritual
waren, das vollständig ein Teil der Zwangsneurose war und
damit jeden Hauch von psychoanalytischer Heilungschance verloren
hatte.
Die Patientin hatte eine Eigenart, die den ersten Hinweis auf die
Lösung des Rätsels lieferte. Am Ende jeder Sitzung
bestand sie darauf, daß der Analytiker ihr die letzte
Interpretationen noch ein paar Mal wiederholte, weil sie ein Wort
nicht richtig verstanden hatte oder die Bedeutung oder den genauen
Wortlaut. Sie behauptete, daß sie sich haargenau erinnern
müßte, damit sie ihre Zweifel und Ängste bis zur
nächsten Sitzung aushalten könne. Dr. Loewenstein
erinnerte sich daran, wie Freud im Fall des "Rattenmannes" diesen
Typ von zwanghaften Zweifeln interpretiert hatte: als einen
unbewußten Ausdruck von Mißtrauen am
Gesprächspartner, eine Art sich-lustig-machendem Zweifeln.
Viel später erst kam Dr. Loewenstein darauf, daß
dahinter eine unbewußte Ablehnung gegenüber ihrer
letzten Analytikerin Dr. Z. stecken könnte, wobei sie ja gute
Gründe hatte, deren Interpretationen und Ratschläge zu
verlachen. Als er ihr sehr vorsichtig diese Lesart unterbreitete,
wurde die Patientin von ungeheurer Panik erfaßt, welche er
als Bestätigung einstufte und als Hinweis sah, noch
vorsichtiger vorzugehen. Er hielt sich in Zukunft strenger an die
Abstinenzregel und wiederholte seine Interpretationen am Ende nicht
mehr so häufig. Er wiederholte sie nur noch fünf- anstatt
sechsmal, danach vier- anstatt fünfmal und so weiter. Es war
sehr schwer für die Patientin, diese Frustration zu
ertragen.
Damit war der erste Schlüssel gefunden, um ihr Ritual
fortführend aufzubrechen, durch Deprivation, also
Enttäuschung der Erwartungen. Die ersten wirklich zutreffenden
Interpretationen von ihren Zwangshandlungen hatten ähnliche
Resultate. Auf ihrem Weg zu Dr. Loewenstein mußte die
Patientin an einem Feinkostladen vorbeigehen, wobei sie oft
versucht war, in den Laden zu gehen und Süßigkeiten
für sich und ihre Mutter zu kaufen. Als sie eines Tages
tatsächlich soviel Mut hatte, in den Laden zu gehen, kam ihr
jemand aus der Tür entgegen. Sie wurde von der
horrormäßigen Zwangsvorstellung erfaßt, daß
es die alte Frau gewesen war und schreckte zurück. Dr.
Loewenstein interpretierte diese Sache ganz einfach, nämlich
daß sie ihrer Mutter keine Süßigkeiten kaufen
wollte. Mme. N. akzeptierte dies nicht, aber es zeigte sich,
daß sie nach und nach fähig wurde, auch feindliche
Gedanken zu ihrer Familie und ihren Analytikern auszudrücken.
Bei einem ähnlichen Angstanfall bei einem Einkauf summte sie
nach verlassen des Ladens ein alte Kindermelodie vor sich hin, etwa
"ich habe guten Tabak in meiner Tasche..... du sollst davon nichts
haben". Dr. Loewenstein interpretierte also folgendermaßen:
Mme. N. war das einzige wohlhabende Mitglied ihrer Familie und
wollte ihr Geld für ein neues Kleid oder
Süßigkeiten ausgeben, aber die alte Frau, ihre Mutter
und ihre Schwester, wollten es ihr wegnehmen. Sie wurde also von
Schuld und Angst überfallen und verzichtete darauf, weil sie
mit ihrer Schwester und ihrer Mutter teilen sollte, aber dies nicht
wollte, und zu viele Schuldgefühle hatte, alleine zu
genießen.
Nun ging Dr. Loewenstein darauf ein, wie er in den dreieinhalb
Jahren der Behandlung von Mme. N. rekonstruiert, wie es in der
Mitte der Analyse bei Dr. Z. dazu kam, daß diese Form von
Zwangsneurose auftauchte.
Nach dem Tod ihres Schwiegervaters zog ihre Schwiegermutter zu
ihnen, sie mochte diese zwar nicht, aber zeigte dies nicht, weil
sie viel Zeit mit der alten Dame verbringen mußte. Kurz
vorher war ihre eigene Familie in den finanziellen Ruin geraten und
ihr Vater hatte ihrer jüngeren Schwester eine Liebesheirat
gestattet. Bei der Erbschaft riet ihr Dr. Z., einen Anwalt
hinzuzuziehen, was den Anteil an dem Erbe um einiges
erhöhte.
Mme. N., die nie ein erfülltes Sexualleben in ihrer Ehe hatte,
spielte immer mit dem Gedanken, sich einen Liebhaber zuzulegen,
aber Gefühle der Schuld hinderten sie. Sie dachte immer,
daß ein erfülltes Liebesleben all ihre Krankheiten
heilen könnte, und umgab sich mit jungen, lebensfrohen und
attraktiven Hausmädchen, deren Liebesaffären sie sich
ausmalte. Die alte Frau, häßlich und sittenstreng, war
die erste ältere Haushälterin, die sie angestellt hatte.
Sie wollte dieses alte Hausmädchen sofort wieder feuern, doch
Dr. Z. riet ihr, sie zu behalten. Nach einigen Wochen wurde Mme. N.
von den schrecklichen Angstanfällen heimgesucht, so daß
ihr Mann der alten Frau kündigen mußte. Damit hatte sich
Mme. N. dem Ratschlag ihrer Analytikerin mit Hilfe ihrer Neurose
widersetzt.
Zu der selben Zeit, als die Patientin kurz davor war, eine
Affäre zu einem jungen Mann anzufangen, riet ihr Dr. Z.
ausdrücklich davon ab. Die Patientin tat so, aber klagte,
daß sie es ihr Leben lang bedauern werde, diesen Mann
aufgegeben zu haben, woraufhin ihr Dr. Z. vorschlug, einfach zu
denken, daß sie sich dabei eine Geschlechtskrankheit geholt
hätte. Damit war die Erklärung für die zwanghaften
Waschungen und der Vorstellung gefunden, von der alten Frau
kontaminiert zu werden. Aber es war kein Mann, vor dem sie Angst
hatte, sondern eine *alte* Frau, die in Wirklichkeit ein Substitut
ihrer Analytikerin darstellte. All ihr Ärger und
Mißtrauen gegenüber der Analytikerin und ihrer
Ratschläge war auf die alte Haushälterin verschoben
worden und hielt die Beziehung zu Dr. Z. anscheinend konfliktfrei.
Anscheinend deshalb, denn die Patientin rächte sich
unbewußt, in dem sie die Analyse zu einem Schauspiel machte
und die Analytikerin mit ihrer unheilbaren Präsenz
belastete.
4.) Der Aufbau und die Struktur der Neurosen:
Die ersten fünf Jahre der Analyse bei Dr. Z.
beschäftigten sich mit den hysterischen Ängsten (oft um
die Farbe Rot), die mit ihren sexuellen Wünschen einerseits,
und anderseits mit ihrer Abhängigkeit und ihrem Gehorsam
gegenüber ihrem Vater zusammenhingen. Ihre Symptome
repräsentierten Schuldgefühle wegen ihrer kurzen Eskapade
und die ständige Bemühung, sexuellen Versuchungen zu
widerstehen und untreu gegenüber ihrem Ehemann und damit ihrem
Vater zu sein. Aber nach der Geschichte mit der alten
Haushälterin zeigte sich ein ganz anderes Bild. Die
Ängste waren nicht mehr die Furcht vor dem sexuellem Kontakt
mit einem Mann, sondern vor dem Kontakt einer Frau und einer
schrecklichen Verschmutzung oder Verseuchung. Die Berührungen
("touches") bedeuteten zweierlei dabei, einmal einen
bösartigen Kontakt oder Angriff, und zum zweiten die Beziehung
zu Geld. Ihre zwanghaften Ängste bedeuten, wie schon
erwähnt, daß es für sie unmöglich war, mit
Befriedigung Geld auszugeben. So war der sekundäre
Krankheitsgewinn damit verbunden, daß sie es ihrer Mutter und
ihrer Schwester ebenfalls verwehrte, etwas von ihrem Reichtum zu
haben. Zum Beispiel versprach sie ihrer Schwester oft, daß
sie ihre alten Kleider haben könnte, jedoch hinderte sie "die
alte Frau" davor, dieses Geschenk zu machen. Sie hatte dabei
folgende Argumentation: "Wenn ich diese Kleider meiner Schwester
gebe, wird sie von der Berührung der alten Frau verschmutzt
werden, sie wird selber die alte Frau werden." Dies interpretierte
Dr. Loewenstein in der Analyse folgendermaßen: "Wenn ich ihr
meine Kleider gebe, wird sie nicht nur den Mann haben, den sie
liebt, sondern auch schöne Kleider, um ihn zu entzücken;
ich würde sie so sehr hassen, daß ich mich davor
fürchte, was sie mir dafür antun würde." Ihre
Neurose fügte also der Schwester Leid zu, indem diese nicht
hübsch und attraktiv aussehen konnte, und sie fügte auch
Mme. N. Leid zu, denn sie litt ja unter den furchtbaren
Ängsten. Der alte Konflikt um sexuelle Versuchung war demnach
regrediert zu einem Konflikt um Geld, Aggression und Verweigerung.
Die frühere neurotische Phobie hatte sich mit Konflikten aus
der ödipalen phallischen Phase beschäftigt, und hatte nun
eine Regression erfahren und war zu einem Konflikt der
prä-ödipalen analen Phase geworden, einer
Zwangsneurose.
Die Stärke der aggressiven Tendenzen in der zwanghaften Phase
konnte man daran messen, wie stark ihre Unfähigkeit war, diese
Impulse in sich zu tolerieren. Als Dr. Loewenstein die erste
Andeutung gemacht hatte, daß sie aggressive Affekte haben
könnte, verursachte diese Interpretation unglaubliche Angst-
und Schuldgefühle, die nur schwer zu ertragen waren.
Von ihrer Pubertät an hatte ihr Vater die Idee einer
Liebesheirat bekämpft und darauf bestanden, daß sie eine
arrangierte Hochzeit hatte, mit der sie finanziell abgesichert war.
Durch ihr inniges Verhältnis zu ihrem Vater war es ihr
unmöglich, dessen Willen offen nicht zu befolgen. Die
Angstneurose (in den ersten fünf Jahren) war ein
unbewußtes Aufbegehren gegen ihren Vater und eine Rache,
für die sie mit ihren Angstzuständen und
Schuldgefühlen bitter bezahlte. Als ihr geliebter Vater, dem
sie praktisch ihr Liebesleben geopfert hatte, dann in finanzielle
Bedrängnis geriet, übte er Verrat an ihr, in dem er der
jüngeren Tochter erlaubte, den Mann zu heiraten, den sie
liebte. Alles, was noch passierte, war ein Zurücktreten von
Liebe vor Geld. Sie mußte die Gesellschaft ihrer alten
Schwiegermutter anstatt eines Liebhabers ertragen, Dr. Z. half ihr
mit dem Rechtsanwalt bei der Erbschaft und bestand zur gleichen
Zeit darauf, daß sie sich keinen Lover holte und ihn statt
dessen schlecht machte (mit der Furcht der Geschlechtskrankheit),
und außerdem wollte sie, daß sie die alte
häßliche Haushälterin behielt. Wie gegen ihren
Vater rebellierte die Patientin auf eine unbewußte Weise mit
der Entwicklung einer Neurose, diesmal einer Zwangsneurose.
Die Frage wäre nun, inwieweit der Vorschlag, daß sich
Mme. N. vorstellen sollte, eine Geschlechtskrankheit bekommen zu
haben, Einfluß auf die Angst der Patientin vor den
"Berührungen" hatte. Dr. Loewenstein sagt dazu, daß man
viele Fälle kennt, in denen die Angst vor einer
Geschlechtskrankheit ein Teil einer solchen Pathologie ist, jedoch
lassen sich nicht alle Fälle auf einen solchen Ursprung
zurückführen, und oft nur als eine rationale
Begründung von noch tiefer liegenden Ängsten. Die Angst,
berührt worden zu sein, hat dagegen enorm komplexe
Konnotationen. Der Kontakt mit einer Hand kann die ganze Bandbreite
von menschlichen Verhalten abdeckten, von Liebe bis Aggression. In
Mme. N. Fall war diese Zwangsvorstellung mit Bedeutungen
überladen. Die Zwangsvorstellung war, daß die "alte
Frau" Macht über sie ausübte und sie daran hinderte, eine
attraktive Frau zu sein. In anderen Momenten bedeutete
"Berührung", Geld anzufassen, und verhinderte, daß sie
ihr Geld ausgab und davon profitierte, die "alte Frau" wollte also
ihr Geld berühren und es ihr wegnehmen. Dagegen spielte eine
andere mögliche Bedeutung, Masturbation, nur eine
untergeordnete Rolle. Die unbewußte Antwort der Patientin auf
den Ratschlag von Dr. Z. betreffs des Liebhabers sah Dr.
Loewenstein so: "Du willst, daß ich mein Leben als Frau
aufgebe und mich selbst anlüge, daß der Mann, den ich
liebe, mich verschmutzt haben könnte; zur gleichen Zeit willst
du, daß ich mich einer schrecklichen, alten,
häßlichen Frau unterordne, wie du selber eine bist; ich
könnte mir genausogut vorstellen, daß du diejenige bist,
die alles, was ich besitze, beschmutzt und schlecht macht, du
'altes Weib'. Du willst also, daß ich mir Verschmutzungen
vorstelle? Na gut, ich denke mir einige aus. Wenn das die Hilfe
sein soll, die du mir geben kannst, damit es mir besser geht,
brauchst du nur zu warten und dir das Ergebnis anzusehen."
Dr. Z. Ratschlag alleine mag nicht ausreichend gewesen sein, die
Form der Neurose der Patientin zu bestimmen, war jedoch ein
wichtiger Faktor darin.
5.) Die Probleme bei diesem besonderen Fall:
Wie man gesehen hatte, war das Verhalten der Patientin
zunächst, in jeder Sitzung einen Traum zu erzählen und
dazu Assoziationen zu finden. Dieses Verhalten war nach Loewenstein
eine besondere Art von Widerstand, da sie auf klassische
Interpretationen keinerlei Widerstand zu haben schien. Die
Assoziationen waren vielmehr darauf ausgerichtet und intendiert, zu
einer klassischen Interpretation zu führen, der ganze Vorgang,
inklusive des Psychoanalytikers, war jedoch eine hochspezialisierte
Form von Abwehr. Die Assoziationen hingen meist mit Dingen aus der
Kindheit der Patientin zusammen, und die klassische Interpretation
würde ebenfalls nicht mit der Gegenwart oder der näheren
Vergangenheit zu tun haben, sondern sich auch auf diese entfernte
Periode fixieren. Es war nach dieser Interpretationsweise so gut
wie unmöglich zu sagen, warum dieser bestimmte Traum in dieser
bestimmten Nacht geträumt worden war. Aber gerade dahinter
liegt der Schlüssel, die wahre Bedeutung eines Traumes zu
erkennen. All das war am Anfang der Analyse bei Dr. Loewenstein
nicht der Fall, erst als er herausfand, daß die ganze
Behandlung zu den Abwehr-Ritualen gehörte, begann er zu
erahnen, daß die Patientin damit ihr Mißtrauen in ihre
Analytiker zum Ausdruck brachte. Sie hatte ja, wie wir gesehen
haben, tatsächlich wenig Grund, in ihre Therapeuten zu
vertrauen. Dr. Loewenstein weiß nicht, ob Dr. Z. der
Patientin noch andere Ratschläge als die oben genannten gab,
aber schon bei diesen drei gibt es eine Gemeinsamkeit, nämlich
daß Geld über Liebe gestellt wurde. Die Analytikerin
urteilte gegen ein erfülltes Liebesleben der Patientin und
verstärkte damit deren Aggressionen zusätzlich. Besondere
Wichtigkeit hatte dabei der Ratschlag, einem Liebhaber zu entsagen
und sich einzureden, daß dieser sie verschmutzt oder
krankgemacht hätte. Es war, wie als ob Dr. Z. von der
Patientin verlangt hätte, sich selbst anzulügen. Die
Patientin, von der in der Analyse absolute Offenheit und
Ehrlichkeit gefragt ist, wird diese niemals einer Analytikerin
geben, die fordert, so etwas zu tun, also war die ganze analytische
Prozedur ab absurdum geführt.
Auch der ständige Wunsch, die Analytikerin solle beteuern,
daß die Patientin nicht von der "alten Frau" berührt
worden war oder diese Berührung bei einem anstehenden
Kleiderkauf drohte, manövrierte die Psychoanalyse in ein
magisches Ritual, mit dem die zwanghaften Ängste gebannt
werden sollten. Dr. Loewenstein dagegen wich diesen Forderungen aus
und gab der Patientin den Ratschlag, sich so zu verhalten, wie sie
tun würde, wenn sie geheilt wäre. Dieser Ratschlag geht
zurück auf Freud, der bei phobischen Patienten rät, wenn
die Analyse weit genug fortgeschritten ist, diese mit dem
Gegenstand der Phobie nach und nach selbst zu konfrontieren.
Auch auf andere Weise versuchte Mme. N. den Analytiker zur
Komplizenschaft und Mitschuld zu gewinnen, um einen sekundären
Krankheitsgewinn zu erlangen. Sie fragte eines Tages, ob er ihr
nicht einen Brief für ihren Mann schreiben könne, in dem
er rät, Mme. N. mehr Geld zu geben, damit sie mit dem Taxi zur
Analyse kommen könne und auf diese Weise die "Berührung
der alten Frau" umgehen könne. Dr. Loewenstein lehnte dies
kategorisch ab und machte ihr klar, daß mit dem Taxi kommen
oder nicht, keinen Einfluß auf den Fortschritt der Behandlung
haben würde. Von da an machte ihre Analyse große
Fortschritte. Ein anderes Mal begann sie plötzlich, obwohl sie
offensichtlich in keiner echten Bedrohung war, Selbstmordgedanken
zu erzählen. Der Analytiker sagte ihr, daß er nicht wie
Dr. X. die Behandlung abbrechen würde, und die
Selbstmordvorstellungen verschwanden und kehrten niemals
wieder.
Einer ihrer größten Fehler war, meint Dr. Loewenstein,
daß sich Dr. Z. ausschließlich auf die Analyse der
fernen Kindheit der Patientin beschränkt hat. Diese
Interpretationen hingen damit praktisch in der Luft und hatten
keine Beziehung zum späteren Leben der Patientin. Die
Patientin reagierte auf diese Interpretationen wie als ob sie sie
nicht betreffen würden, mit anderen Worten, sie reagierte
überhaupt nicht darauf. Mit diesem Mechanismus folgte sie
einem Muster, das sie gegenüber ihrem Vater zu der Zeit ihrer
Heirat aufgebaut hatte, nach außen hin Zustimmung und
Unterordnung, während innen verbissener Widerstand
herrschte.
Den Aspekt der Übertragung berücksichtige Dr. Z. so gut
wie gar nicht bei ihren Interpretationen zur Kindheit der
Patientin, so kam ihr anscheinend nie der Gedanke, selbst die
"alten Frau" zu sein. Die ambivalenten Übertragungsreaktionen
spielen ja bei allen Analysen eine wichtige Rolle, und Dr.
Loewenstein war froh darüber, daß es ihm gelang, diese
im Gegensatz zu Dr. Z. noch rechtzeitig zu analysiert zu haben.
Daß diese sich darauf beschränkt hatte, in der
frühen Kindheit die Ursache für die Neurose zu suchen,
war ein häufiger Fehler in der frühen Psychoanalyse. Es
ist tatsächlich viel wichtiger zu schauen, welche von den
frühen Triebkonflikten in die Gegenwart transportiert werden
und welchen Wandel ein ursprünglicher Konflikt an dem Ich und
dem Über-Ich genommen hat. Freud verwendete folgende Metapher:
Wenn ein Gebäude von einem Feuer beschädigt wird, breiten
sich die Flammen manchmal auf Teile aus, die ursprünglich
nicht betroffen waren. Später dann, nach dem Feuer,
können die entstandenen Schäden an der Quelle viel
unbedeutender sein als in abgelegenen Teilen, und so ist es auch in
der Analyse notwendig, die Schäden von den späteren
Feuern zuerst zu reparieren.
In Mme. N.'s Fall war der Hauptkonflikt eine zwanghafte Neurose,
die erst relativ spät in der Behandlung bei Dr. Z. entstanden
war. Es mußte erst dieser Konflikt behandelt werden und dann
konnte durch ihn an den Ursprung in der frühen Kindheit
gelangt werden. Es war Dr. Loewenstein nicht möglich, sich in
der verhältnismäßig kurzen Behandlungszeit mit
diesen Konflikten auseinanderzusetzen und an sie heranzukommen. Die
einzigen Interpretationen, die Wirkung zeigten, waren solche, die
sowohl ihre Ich-Reaktionen berücksichtigten, als auch ihre
aggressiven und libidinösen Triebe. Als eine generelle Regel
hält Dr. Loewenstein fest, daß Interpretationen nur dann
effektiv sind, wenn sie konkret und persönlich sind und auf
den individuellen Fall zutreffen.
In letzter Zeit, also damals 1956, ist ein solcher Widerstand wie
bei Mme. N. häufiger beobachtet worden, d. h. Patienten, die
psychoanalytisches Fachjargon verwenden, um sich auszudrücken.
Dabei macht das Unbewußte sich diese Begriffe zu eigen, um
damit die wirklichen psychischen Erfahrungen zu verkleiden.
Häufig ist es nicht einfach, solch einen paradoxen
intellektualisierten Widerstand zu überwinden, denn wie auch
in der Fachliteratur werden Begriffe in einem allgemeinen
Zusammenhang verwendet, ohne zu schauen, was z. B. der
Ödipus-Komplex in einem speziellen Fall eigentlich ist und was
die individuellen Konflikte sind. Wenn ein Patient also analytische
Begriffe verwendet, soll der Analytiker doppelt wachsam sein und
diese Beschreibungen in eine nicht-technische Sprache umwandeln,
die klar mit den geäußerten Affekten und Gedanken des
Patienten einhergehen. Als eine Illustration schreibt Dr.
Loewenstein, wie die Patientin gelegentlich auf dem Weg von der
U-Bahnstation zum Apartment ihrer Schwester ein Taxi nahm, und
dabei manchmal von der schrecklichen Angst überfallen wurde,
"auf der alten Frau zu sitzen". Sie assoziierte dazu unweigerlich
die Erinnerung an ein sexuell angehauchtes Spiel mit ihrer
Schwester, wie sie sich abwechselnd auf dem Schoß
saßen. Sie erzählte diese Erinnerung öfters, ohne
daß sie von Schuldgefühlen tangiert wurde, und ohne
daß die Furcht oder die Heftigkeit des Zwangsgedanken weniger
wurde. Daher mußte die Episode nicht mit dem Zwang verbunden
sein, sondern waren Deckerinnerungen. Dr. Loewenstein forderte von
der Patientin, noch mehr Einzelheiten zu der kürzlich
erlittenen Situation zu erinnern, dabei kamen weitere Details zum
Vorschein. Der Anblick eines Bettlers, dem sie kein Geld gab, oder
eine alte Zeitungshändlerin, die sie beim Einsteigen in das
Taxi beobachtete, waren Auslöser für Hassgefühle
gegenüber der Mutter, die auch im Apartment der Schwester
lebte. Der unterdrückte Gedanke war so etwas wie "ich *setze*
mich über sie hinweg und es tut mir nicht leid, mir die
Extravaganz eines Taxis zu leisten." Dieser Gedanke war mit so
starken Schuldgefühlen verbunden, daß sie sich sofort
selbst bestrafte und auf "die alte Frau" setzte, die sie so sehr
fürchtete. Von da führte der Weg zu der Erinnerung mit
den sexuellen Spielen mit der Schwester, die tatsächlich
verkleidete Phantasien von sexuellem Kontakt zwischen dem Vater
oder der Mutter und dem Kind auf dem Schoß waren. Diese
Phantasien waren total unterdrückt und es erfüllte die
Patientin mit Horror, wenn sie diese in der Analyse
äußerte. Außerdem steckte auch eine alte
Eifersucht auf ihre jüngere Schwester darin, die
verdrängt worden war. Es dauerte lange, und der Konflikt
mußte immer wieder durchgearbeitet werden, bis das Symptom
schließlich endgültig verschwand.
Der Fall von Mme. N. fand Anfang der Dreißiger Jahre statt,
und seit dem bis zum Erscheinen des Aufsatzes 1956 hat die
Psychoanalyse große Fortschritte in der Ich-Psychologie
gemacht, die vielleicht einiges anders in seiner Analyse gemacht
hätte. Und trotzdem verteidigt Dr. Loewenstein seine strenge
Beachtung der Abstinenzregel, denn es war der einzige Weg, den
Widerstand, der sich die psychoanalytische Prozedur zu eigen
gemacht hatte, aufzulösen. In einem solchen Fall muß man
dem Patienten auch viel Zeit zugestehen und eine lehrbuchartige
Analyse aus Respekt vor dem Patienten durchführen, damit es
ihm möglich wird, die abgewehrten Triebe zuzulassen und daraus
Einsicht zu gewinnen.
Dr. Loewenstein behandelte Mme. N. dreieinhalb Jahre lang, und am
Ende dieser Zeit hatte sie eine merkliche Verbesserung erfahren. Es
war ihr möglich, sich normal zu waschen und anzuziehen. Ihre
Angstanfälle und Zwänge kamen immer weniger häufig
vor und waren tolerierbar. Am Ende dieser Zeit bekam sie einen
Brief von ihrem Mann, der ihr mitteilte, daß er sich von ihr
scheiden lassen wolle, um seine Geliebte heiraten zu können.
Dr. Loewenstein riet ihr, daß sie in ihr Land
zurückkehren solle, was sie für acht Monate tat, bis die
Scheidung vollzogen war. Mme. N. war besonders erschrocken
über die Feindseligkeit ihrer Tochter, die sich vehement gegen
sie stellte. In diesen acht Monaten hatte sie keine psychiatrische
Hilfe, und als sie danach wieder nach Paris zurückkehrte,
schien ihre Verbesserung gefestigt zu sein. Dr. Loewenstein sah sie
einige Zeit später mit ihrer Tochter wieder, mit der sie sich
besser verstand. Mme. N. lebte nun ein normales, allerdings
einsames und nicht besonders glückliches Leben und dachte
daran, wieder in ihr Land zurückzukehren. Ihre Ängste
schienen fast vollständig verschwunden zu sein. Dann
allerdings brach der 2. Weltkrieg aus und Dr. Loewenstein verlor
den Kontakt zu Mme. N.
Dr. Weinshels Ergänzungen 1982
1.) Dr. Loewensteins
Ich-Psychologie:
Weinshel begreift Dr. Loewensteins Falldarstellung als einen
wichtigen Text, an dem die Bedeutung der Ich-Psychologie in
Loewensteins Werk betrachtet werden kann. Loewenstein setzt seinen
Schwerpunkt in der Behandlung auf Ich-Psychologie, wobei er diese
als Analyse des Widerstandes des Patienten betrachtet. Dennoch
wendet er sich nicht ab von der Vorstellung Freuds, der vor allem
die Kindheitskonflikte, -traumatas und -phantasien analysiert haben
will, sondern spricht von einer Verlagerung des Schwerpunkts, bei
dem er trotzdem die Freudsche Auffassung für richtig
hält, aber für Behandlungszwecke und -erfolge eine andere
Herangehensweise nimmt.
Auch die Art der psychoanalytischen Behandlungsweise, des
psychoanalytischen Settings, ist nach wie vor korrekt, die
Schwerpunktverlagerung, bzw. Erweiterung, der Psychoanalyse sieht
Dr. Loewenstein auf drei Gebieten: Erstens, daß nicht nur die
Konflikte und Ereignisse der frühsten Kindheit, sondern auch
die des späteren Lebens bis hin zur Gegenwart des Patienten
betrachtet werden; zweistens, daß sich viel ausgeprägter
und entschlossener mit dem Widerstand und anderen Ich-Produktionen
des Patienten beschäftigt wird; und drittens wird höhere
Aufmerksamkeit auf das autonome Ich des Patienten gelegt, dessen
Funktionen und die Rolle, die es in Konfliktsituationen spielt,
besonders welche Entscheidungen es trifft, im Hinblick auf
Belohnung und Abwehr.
Mit diesen vorangestellten Auffassungen von Dr. Loewenstein wagt
sich Dr. Weinshel nun an die Falldarstellung von Mme. N. heran, und
möchte dabei weniger ein Supervisor sein, sondern mehr ein
Forscher, der sich für die historischen, theoretischen und
praktischen Entwicklungen der Psychoanalyse beschäftigt. Er
möchte Veränderungen im psychoanalytischen Denken und
Arbeiten anhand der Fallgeschichte und den folgenden Jahrzehnten
der Psychoanalyse aufzeigen.
2.) Die vier Besonderheiten:
Weinshel sieht seiner Meinung nach vier Besonderheiten in Dr.
Loewensteins Bericht über Mme. N., die er genauer beleuchten
will.
Die Krankengeschichte von der Patientin ist voller Verrat von
seiten ihrer Therapeuten Dr. X., Y. und Z.. Unerheblich ist dabei,
ob Dr. Loewenstein noch andere Quellen als die Aussagen von Mme. N.
hatte und ob ihre Einschätzungen tatsächlich so stimmen.
Entscheidend ist die subjektive psychische Realität der
Patientin. Auch scheint bemerkenswert, daß der Ehemann von
Mme. N. die Behandlung mit Dr. Loewenstein ausmacht. Verrate sind
auch durch seiten der Eltern der Patientin zu finden, Weinshel
meint aber, daß die Patientin selbst Einfluß auf diese
Entwicklungen hatte, besonders durch ihr Beitragen und ihre
Mithilfe, so war dies nicht nur ein Teil ihres Charakters, sondern
fand sich auch in der Form der Neurose wieder. Was auch immer
für Verhaltensweisen oder Charakterzüge der Patientin
diese Verrate provozierten, es war eines von ihren grundlegenden
Widerstandsmustern, um Psychoanalyse abzuwehren. Aber trotz des
Herausforderns oder Hinzutuns der Patientin ist das Verhalten der
Analytiker auf keinen Fall gerechtfertigt.
Das Muster der 'boshaften Einwilligung' der Patientin, also ihr
nach außen hin sichtbares Hinnehmen, Unterordnen und
Befolgen, aber innerlich Widerstand leisten, stellt auch schon nach
Dr. Loewensteins Erkenntnis eine zentrale und ernstzunehmende Form
des Widerstands dar und ist der zweite bemerkenswerte Punkt. Dr.
Weinshel vermutet, daß auch dies ein grundlegender
Charakterzug der Patientin ist, und daß dieses Muster auch
schon in ihrem Leben vor den Analysen aufgetaucht sein
muß.
Die Patientin machte auch aktive Anstrengungen, die analytischen
Sitzungen zu beeinflussen und zu kontrollieren, zum Beispiel durch
ihre Forderung nach mehrmaligem Wiederholen der Interpretationen
oder durch das Abdecken der Couch mit Papiertaschentüchern.
Dieses Verhalten stellt nicht nur ein Entladen von Aggressionen
dar, sondern wirkt auch als effektiver Widerstand. Weinshel
vermutet wiederum, wenn auch unter Vorbehalten, daß dieses
Bemühen nach Kontrolle und Manipulation seine Wurzel in der
Charakterstruktur hat.
Die vierte Besonderheit stellt ein Zusatz zum ersten dar, es ist
die Aura von Moralität, die die gesamte Fallgeschichte
durchzieht. Es klingt wie ein viktorianisches Melodram, schreibt
Weinshel, mit Lügen und Täuschungen, Betrug und Verrat,
finanzieller Schikane, autoritärer Ungerechtigkeit und
väterlicher Tyrannei, angehaucht von Untreue und Inzest. Die
Patientin sucht ständig nach verläßlichen
autoritären Figuren, während sie gleichzeitig versucht,
diese zu korrumpieren und als unehrlich zu entlarven. Diese beiden
Richtungen werden innerlich mit gleicher Anstrengung und Gewalt
verfolgt, und stellen einen weiteren Widerstand für
psychoanalytische Arbeit dar.
Diese Auswahl von Besonderheiten begründet Weinshel damit,
daß jeder Analytiker unterschiedliche Sichtweisen auf diesen
Fall vertritt und andere Fakten hervorheben würde, er selbst
interessiert sich für die Veränderungen des
psychoanalytischen Denkens und Behandelns und betrachtet daher die
Phänomene von Widerstand, Charakter, Gegenübertragung und
Über-Ich.
3.) Entwicklungen der Psychoanalyse:
Für eine eingehendere Betrachtung des Falles entwirft Weinshel
vier Zeitebenen, in die er den Fall einteilt und für die es
das jeweilige psychoanalytische Denken vorstellt. Die erste Ebene
ist die Zeit von 1919 bis 1931, die Jahre der Behandlung der
Patientin bei Dr. Z.. Die Zeit von 1931 bis 1934 ist die Dauer der
Analyse bei Dr. Loewenstein und somit die zweite Periode. Die Zeit
von 1935 bis 1956 ist die Zeitspanne nach der Analyse und der
Veröffentlichung der "Reflections on the treatment of a case
of obsessional neurosis" von Loewenstein, bei denen der Autor sein
Konzept von Ich-Psychologie darstellt. Die letze Periode ist von
1956 bis 1983, dem Erscheinen des Aufsatzes von Weinshel.
Zu der ersten Periode ist die Informationslage so spärlich,
daß Weinshel nur wenig dazu sagen kann und nicht auf einem
systematischen Weg. Viele würden diese Behandlung bei Dr. Z.
als eine "wilde Analyse" abtun, was er relativiert und etwas
objektiviert und freundlicher darstellt. Dr. Z. hat seiner Meinung
nach Freuds Lehre aus dem vorangegangenen Jahrzehnt nur
unvollständig und unzureichend verstanden, mit der Konsequenz
der folgenreichen und erfolglosen Analyse. Weinshel arbeitet sechs
Kategorien aus den drei letzten Perioden heraus, die die
bemerkenswertesten Veränderungen des psychoanalytischen
Denkens und Behandelns aufzeigen. Wo Dr. Loewensteins Daten nicht
eindeutig genug sind, gibt der Autor zu, hat er sich auf eigene
Schlußfolgerungen bei diesen Beobachtungen verlassen.
4.) 1. Die Diagnose:
Die Einstellung zur Diagnose und die Form der Diagnose hat sich
entscheidend geändert. Die Diagnose zur Zeit der
Fallgeschichte hatte ein ganz besonderes Gewicht und war von
besonderer Wichtigkeit. Sie selbst wurde hauptsächlich aus den
Symptomen, die sich am Patienten zeigten, erstellt. Relativ wenig
geht auch Dr. Loewenstein auf die Persönlichkeit und den
Charakter der Mme. N. ein, ihre Ich-Stärke und die funktionale
Effektivität des Ich. Zeitgenössische Analytiker
Weinshels würden diese Aspekte berücksichtigen und ihren
Fokus auf den Charakter und die darunterliegende Ich-Struktur legen
(masochistischer Charakter, zwanghafter Charakter, Borderline
usw.). Weinshel ist weit davon entfernt, dabei die Frage nach der
"korrekten" Diagnose zu stellen, sondern zeigt an dieser
Beobachtung auf, wie sich die Psychoanalyse gewandelt hat. Das
Interesse für die Symptome hat abgenommen, statt dessen hat
die Entwicklung und die Entwicklungsebene des Charakters und der
Hauptkonflikte an Bedeutung gewonnen, wie auch die umfassende
Persönlichkeitsstruktur und deren Stärke. Dieser Wandel,
'wie' der Patient gesehen wird, hat Auswirkungen, wie der
Analytiker sich ihm mit seinen Interventionen nähert.
5.) 2. Ödipale vs. prä-ödipale Konflikte:
In den Dreißiger Jahren stand noch außer Frage,
daß die ödipale Phase und deren Schicksalsschläge
verantwortlich waren für den Kernkonflikt einer Neurose. Das
Auftreten von prä-ödipalen Konflikten wurde als
Regression von dem eigentlichen Konflikt gesehen. Ähnlich geht
auch Dr. Loewenstein vor, wenn er die zwanghaften Symptome einer
Zwangsneurose zuordnet und die Angstanfälle einer phobischen
Neurose. Heute würde man beides als zwei verschiedene Phasen
eines neurotischen Prozesses sehen. Die Aggressionen der Patientin
verband er mit der zwanghaften Periode, ohne zu danach schauen, wie
und welche aggressiven Komponenten in ihrem Leben oder der Analyse
noch auftauchten. Wenig Interesse wurde darauf verwendet, eine
Verbindung zur Ursache, Bedeutung oder zum Einfluß der
prä-ödipalen Probleme zu schaffen. Denn diese
beeinflussen natürlich die ödipalen Probleme und die
Charakterstruktur. Nach heutiger Erkenntnis spielen ödipale
Konflikte eine weniger zentrale Rolle und sind im Hinblick auf den
Kernkonflikt eines Patienten weniger bedeutsam als die
Störungen, die in prä-ödipaler Zeit passiert sind.
Neben dieser veränderten Sichtweise werden heutzutage auch
weniger solche Erklärungsmuster gebraucht, die Konzepte von
Fixierung und Regression von der ödipalen Phase verwenden.
6.) 3. Das Ziel der Behandlung:
Das Ziel der Behandlung ist nach wie vor gleichgeblieben,
nämlich die pathologische Regression aufzulösen. Das
Konzept, wie dies erreicht werden kann, hat sich dagegen gewandelt,
wie man schon in Dr. Loewensteins Aufsatz sieht. Dr. Z. schenkte
den Widerständen und der Abwehr wenig Beachtung, ihre
Aufmerksamkeit galt ganz den frühen Trieben und deren
Derivaten, ohne auf spezifische Probleme der Abwehr der Patientin
einzugehen. Dr. Loewenstein war sich hingegen der Bedeutung des
Widerstands bewußt, und daß dessen Analyse vordringlich
war. Sein Konzept war es, der Patientin zu helfen, ihre
Widerstände gegen die Analyse zu verstehen, anstatt sie
einfach zu überwinden. Dies machte eine ruhige und taktvolle
Arbeit nötig, um mit kleinen Schritten die Abwehr zu verstehen
und somit strukturelle Veränderungen beim Ich zu erreichen.
Parallel dazu war ein Aufdecken des Inhalts von unterdrückten
Konflikten weniger wichtig.
7.) 4. Der Widerstand:
Mit diesen Änderungen auf dem Weg zum Ziel einer Behandlung
änderte sich auch die Technik der Analyse. Während vor
1931 die Konstruktion der infantilen Geschichte, die Suche nach
sexuellen Traumas und die Aufdeckung von verdrängten Inhalten
Hauptgegenstand war, war nun die Analyse von Widerständen von
verdrängten Inhalten, die Analyse der Übertragung, also
eine Analyse von der Oberfläche, das Thema der Behandlung. Mit
der Ich-Psychologie konnte Abwehr und Übertragung effektiver
untersucht werden und die Verbindungen zwischen Vergangenheit und
Gegenwart konnten besser verstanden werden. Die Innen- und
Außenwelten eines Patienten, und das Zusammenspiel der drei
Instanzen des psychischen Apparats wurden weitere Schwerpunkte bei
der psychoanalytischen Arbeit, das Interesse für die Genese
des Charakters und der gesamten psychischen Struktur kam auf.
Zum Zeitpunkt des Erscheinens von Weinshels Aufsatz 1983 ist die
Situation noch komplexer. Die von Freud entwickelten und von
Loewenstein ausgearbeiteten Techniken sind noch viel komplexer und
feiner geworden. Der theoretische Hintergrund ist viel breiter
geworden, das Wissen und die Erfahrungen über die menschliche
Psyche und die psychischen Konflikte, die die Psychoanalyse
angesammelt hat, hat zu vielfältigen psychoanalytischen
Behandlungstechniken geführt ("there is a greater diversity in
our technical approach"). Dies bietet ein stabiles Gerüst
für die Analytiker, Theorie und Praxis zu verknüpfen, hat
jedoch auch dazu geführt, daß die Erforschung und die
Zahl von neuen Umgangsweisen mit dem Widerstand zurückgegangen
ist, da man einfach einen anderen Weg "ausprobieren" kann, wenn man
mit einem anderem nicht weiterkommt. Weinshel weist auf eine Arbeit
von Paul Gray hin, der herausgearbeitet hat, daß von Anfang
an ein Widerstand in den Reihen der Analytiker, inklusive Freud
selbst, bestand, nämlich Widerstand an sich zu
entschlüsseln.
8.) 5. Übertragung und Gegenübertragung:
Die Bedeutung der Übertragung war schon vor Dr. Loewensteins
Analyse von Mme. N. bekannt, allerdings nicht für Dr. Z., wie
es scheint. Die Wichtigkeit der Übertragung als eins der
entscheidendsten Elemente der Behandlung hat heute noch an Gewicht
gewonnen und es ist klar, daß hier über den Erfolg der
Analyse entschieden wird. Jedoch gibt es selbst heute keine
einheitliche Auffassung, wann und wie sich in der Behandlung an die
Übertragung genähert werden soll.
Die Rolle der Gegenübertragung ist in den letzten Jahrzehnte
deutlich geworden und ebenfalls zu einem Beschäftigungsfeld
von Analytikern geworden. Dr. Loewenstein schreibt wenig über
dieses Phänomen bei seiner Analyse, Weinshel vermutet,
daß mindestens das Verhalten von Dr. X. und Dr. Y. auf eine
Gegenübertragung zurückzuführen sei. Die Analytiker
der 1980er Jahre richten ihre Aufmerksamkeit auf die
Gegenübertragung und sind zum Zeitpunkt der
Veröffentlichung noch dabei, sich eingehender damit zu
beschäftigen und zu experimentieren. Jedoch übertreiben
manche Analytiker, beklagt Weinshel, wenn sie sich so stark auf die
Gegenübertragung beschränken, daß der Patient und
dessen Probleme fast schon als überflüssige Komplikation
gesehen werden.
9.) 6. Das Über-Ich:
Das was Weinshel mit dem letzten Punkt seiner Besonderheiten des
Falles von Mme. N. gemeint hat, der Hauch von Moralität, der
den Fall umgibt, weist auf ein Problem hin, zu dem Dr. Loewenstein
ebenfalls so gut wie gar nichts in seiner Falldarstellung oder
seinen späteren theoretischen Werken sagt. Die
Moralitäts-Atmosphäre wird durch das Über-Ich und
Über-Ich-Konflikte geschaffen. Obwohl in jeder Analyse
Problematiken von Moralität und Verantwortung auftauchen, gibt
es keine eingehende Untersuchung davon. Weinshel zählt nur die
Arbeit von Rangell auf, die einen Meilenstein in diesem Aspekt
darstellt und beendet seine Diskussion von der Fallgeschichte mit
der Hoffnung, daß dieses Thema in Zukunft größere
Aufmerksamkeit bekommt, da auf diesem Gebiet noch wichtige
Entdeckungen gemacht werden können.
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